Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Ich bin mir nicht im Unklaren darüber gewesen, von welcher Art die Gründe gewesen sind, die Ihr langes Schweigen veranlaßt haben. Die Zeiten tiefer Niedergeschlagenheit und Unlust zu allem und jedem sind mir selbst viel zu vertraut, als daß ich sie nicht bei anderen verstehen und respektieren sollte. Es läßt sich schwer innerhalb eines Lebenshorizonts existieren, aus dem die Hoffnung entwichen ist. Nun sind bei Ihnen offenbar auch noch besondere Umstände von persönlicher Art hinzugekommen, die Ihnen das Dasein vergällt haben. Es ist sehr schade, daß die allgemeinen Umstände eine Verständigung über diesen Punkt verhindert haben. Hoffentlich wird es in absehbarer Zeit wieder einmal zu einer Begegnung kommen.
Daß wir den schweren Luftangriff ohne Schaden an Leib und Leben überstanden, ja sogar unser Habe im Wesentlichen gerettet haben, haben Sie vermutlich unterdessen durch Ihre liebe Frau vernommen. Ich war einige Tage nach der Katastrophe im Eichwinkel und habe dort Beruhigendes über das Schicksal Ihrer Frau hören können. Aber über Leipzig kann man nur mit tiefem Schmerz sprechen. Ich verzichte auf Einzelheiten, denn ausführliche Berichterstattung ist in diesem Falle nicht beliebt. Aber das eine kann und muß gesagt werden, daß Leipzig recht eigentlich ins Herz getroffen ist. Von jedem Ausgang kehre ich wie zerschlagen zurück, und ich habe nicht den Eindruck, daß man sich allgemach an den Anblick der Ruinen gewöhnt. Von den Möglichkeiten des Wiederaufbaus wollen wir lieber schweigen. Kippenberg ist offenbar - ich habe ihn noch nicht gesprochen - seelisch sehr herunter. Seine an sich so sensible Frau scheint die Sache wider Erwarten besser überstanden zu haben als er. Beide weilen jetzt auf einem Schloß am Südharz bei einem sehr sympathischen Gastgeber. Wenn ich übrigens vor der ausgebrannten Universität stehe, dann kann ich mich des Gefühls nicht erwehren: das sichtbare Siegel auf eine Zerstörung, die im Inneren längs im Gange war!
Von uns ist im übrigen zu melden, daß es uns beiden Alten gesundheitlich befriedigend geht, obwohl natürlich die nicht abreißende Sorge unsere leibliche Frische und Ausdauer sehr nachteilig beeinflußt. Wie es innerlich in uns aussieht, darüber will ich lieber schweigen. Es ist eben einfach zu viel. Von unseren Söhnen ist zu melden, daß der Älteste wegen einer fiebrigen Darmgeschichte in die Heimat zurückgeschickt worden ist und Weihnachten auf Urlaub daheim war. Der Jüngste steht in Karelien, hat im Allgemeinen ein erträgliches Dasein, klagt aber sehr über Mängel an Alleinsein und Leere der Offiziersgeselligkeit.
Ich hoffe, Sie haben auf dem Wege über Ihre Frau das kleine Weihnachtsbüchlein erhalten. Man weiß ja heute nie, was von Postalischem an sein Ziel gelangt. Ihre freundlichen Wünsche erwidern wir aufs herzlichste. Aber wer wagt heute das Wort "Glück" auf die Lippen zu nehmen! Wenn Sie auf Beatchen blicken, werden Sie noch am ehesten etwas von den einschlägigen Empfindungen verspüren.
Mit vielen Grüßen, denen meine Frau sich anschließt,
Ihr
gez. Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig |