Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Schönen Dank für Ihren lieben Brief vom 14.12. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Freude auch uns das Zusammensein mit Ihnen und Ihrer lieben Frau bereitet hat. In dieser Zeit, deren Grausigkeit sich mit jedem Tage mehr enthüllt, schließen sich diejenigen immer enger zusammen, die sich im Letzten zusammengehörig wissen - wie auch umgekehrt Klüfte aufgerissen werdn, wo man sich unbegründeter Weise einig glaubte. Ich erlebe das bis in die Jüngste Zeit hinein immer wieder. EinBesuch bei dem Ihnen vielleicht nicht unbekannten Philosophen P. Menzer in Halle - er spielte früher in der Kant-Gesellschaft eine führende Rolle - ließ mich wieder einmal erfahren, welche unvorstellbare Ahnungslosigkeit bezüglich der Tragweite des Geschehenden auch bei solchen Menschen besteht, bei denen man wenigstens ein gewisses Gefühl für die Größenordnung der jetzt abrollenden Schicksale voraussetzen sollte. Man lebt auf verschiedenen Planeten. Jede Möglichkeit auch nur der elementarsten Verständigung fällt weg. Man greift sich an den Kopf, wie es möglich war, daß man früher von den hier bestehenden Differenzen nichts gemerkt hat.
Sie gedenken sehr freundlich meines Geburtstages. Ja, solche Lebensabschnitte geben heute zu Betrachtungen Anlaß, die gleichfalls bis aus Letzte gehen! Und leider fällt dann die Bilanz, wird sie mit vollkommener Ehrlichkeit vorgenommen, höchst entmutigend aus. Wie auch immer die Dinge sich in Zukunft gestalten mögen: dieser Fehlbetrag kann in keiner Form mehr ausgeglichen werden. Die deutsche "Bildung", der unserein nach Kräften gedient hat, hat geschichtlich ausgespielt. Sie mag auch in Zukunft noch einzelne Bekenner haben, aber das Ganze wird sein Gepräge von anderen Mächten erhalten. Hoffen wir, daß sie nicht allzusehr durch den Massencharakter dieser Zeit bestimmt werden.
Leider ist ein Ihnen zugedachtes Weihnachtsgeschenk zu spät eingetroffen. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das Herder-Büchlein zukommen lassen soll. Es wiegt nahezu 200 Gramm, müßte also in zwei Teile zerlegt werden, wenn ich es Ihnen nach dem 25.12. zusenden wollte. Soll ich es etwa Ihrer lieben Frau zusenden?
Was die bevorstehenden militärischen Veränderungen angeht, so ist es unser Herzenswunsch, daß sie zu Ihrem Besten ausfallen. Überhaupt werden in den überschatteten Festtagen unsere Gedanken auch bei Ihnen und Ihren Lieben verweilen.
Mit den herzlichen Grüßen, denen auch meine Frau sich anschließt.
Ihr
gez. Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig |