Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0480
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms; Brief 3 Blatt A5
Zeitvon1942
Zeitbis1942
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Das war ein erfreulicher und inhaltreicher Brief. Was er von Ihnen selbst zu melden hatte, das ist ja, wenn man seine Ansprüche auf das heute Mögliche herabschreubt, als sehr erfreulich zu bezeichnen. Wir gratulieren Ihnen herzlich zu der Beförderung, die Ihre Lebensumstände so wesentlich verbessert hat. Und wir hoffen und wünschen von Herzen, daß Ihre Zurückstellung von der kämpfenden Truppe anhält sowie vor allem, daß Ihre Urlaubshoffnung sich erfüllen. Dann könnten wir ja die schwerwiegenden Fragen, die Ihr Brief anschneidet, in aller Gründlichkeit durchsprechen. Aber ich will mit meiner Antwort nicht bis zu diesem Zeitpunkt warten. Sie gehören ja auch zu den Menschen, bei denen sich der Druck der Zeit nicht zum wenigsten in gesteigertem Nachdenken über die letzten Fragen entlädt - übrigens nach meiner Überzeugung zugleich eine der wenigen wirksamen Entlastungen, die es heute noch gibt. Um nun auf Ihre Frage klipp und klar zu antworten: ich selbst bin, und zwar schon vor langen Jahren, erst in dem Augenblick mit meinen letzten Überzeugungen in Ordnung gekommen, da ich es endgültig aufgegeben habe, meine Lebenserfahrungen mit dem Glauben an einen angeblich allgütigen weltlenkenden Gott in Einklang zu bringen. Dieser Glaube mutet uns zu, von Tag zu Tag desjenige zu dementieren, was als unübersehbare Tatsache vor unser aller Augen daliegt: die brutale Grausamkeit des Lebens, wie es nun einmal ist, und zwar weit über die Kreise des Menschlichen hinaus. Das wäre doch eine merkwürdige Güte, die uns als denkende Wesen in eine Wirklichkeit hineingestellt hätte, die uns tausend Beweise gegen diese "Güte" geradezu aufdrängt. Es erschütert mich immer wieder, die Verrenkungen zu sehen, die die Theologen sich zumuten müssen, um dieses Stück der Glaubenslehre mit den unbestreitbaren Tatsachen in Einklang zu bringen. Besonders die Ansprachen am Sarge sind mir aus diesem Grunde Ort zur direkten Qual geworden. Wollte man angesichts dieser Lage nun doch Gott als Person denken, so konnte man nicht umhin, dieser Person Eigenschaften beizulegen, die nichts weniger als göttlich wären. So hat mir jüngst ein von vielen Zweifeln heimgesuchter Pfarrer gestanden, daß er manchmal nicht umhin könne, Gott zu hassen. Unter diesen Umständen ist es also geradezu ein erlösender Ausweg, wenn man erkennt, daß sehr gewichtige Gründe - Gründe für das Wissen! - uns verbieten, dem letzten Weltgrund in seiner Totalität die Personalität beizulegen. Es ist meine Überzeugung, daß die Anerkennung einer solchen "Überperson" die Personenhaftigkeit, die wir an uns selbst und unseren Mitwesen erleben, zur bloßene Scheinhaftigkeit herabdrücken müßte. Entweder ich bin ein echtes Selbst, dann bin ich nicht Marionette in der Hand einer göttlichen Überperson, oder eine solche Selbstheit nicht nur eine Täuschung, sondern sogar eine sehr beklagenswerte Täuschung. Denn sie belastet mich mit Gedanken, Nöten, Verpflichtungen, verwickelt mich in Schicksale, die mir erspart bleiben würden, wenn ich nicht in dieser verwünschten Illusion lebte. Ich müßte jedes Tier beneiden, das so wenig von echter Freiheit genarrt und geplagt wird. Dabei muß ich mir klar machen, daß ich mich zu einer echten und nicht bloß vorgespielten Personenhaftigkeit schon dann bekenne, wenn ich über meine Verhältnisse zum Weltgrunde auch nur nachzudenken beginne. Denn auch dieses Nachdenken ist nur dann mehr als ein scheinhaftes Getriebe, wenn es aus dem Zeitraum eines echten Personendaseins hervorgeht. Ich kann also nur zu dem Ergebnis kommen: was es an personenhaftem Dasein gibt, das gibt es nur in Gestalt der menschlichen Individualität (wobei dahingestellt bleibt, ob es anderwärts innerhalb der Welt Ähnliches gibt). Bleibt die Frage nach dem Verhältnis, das zwischen dieser Individualität und dem umfassenden Weltgrunde obwaltet. Hier führt der Ausdruck "Gesetz", wie mir scheint in die irre, weil er es unbegreiflich machen würde, wie aus diesem Weltgrunde - in dem wir doch irgendwie enthalten sein müssen - so etwas wie ein personenhaftes Dasein hervorgehen kann. Das gesetzlich Geordnete und Bestimmte ist nur die Außenseite des Geschehens ("Natur"). Schließlich muß dieser Weltgrund doch so geartet sein, daß er wie alles Notwendige, alles Grausige und Zermalmende, so auch alles das, worin wir das im besten Sinne "Menschliche" finden, als Möglichkeit in sich schließt. Er ist insofern "göttlich" zu nennen, als alles dies, eingeschlossen dieses unser Nachdenken über unser Verhältnis zu ihm, in ihm angelegt ist. Wir gelangen so zu einem Gottesbergiff, der den inneren Gegensatz des Göttlichen als wesensbestimmendes Moment enthält (Böhme, Schelling). Der Weltprozeß ist dann der Vorgang, in dem dieser innere Gegensatz sich auslebt. Man ist damit natürlich von dem christlichen Gottesbegriff ziemlich weit abgekommen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen die einschlägigen Partien meines nicht gedruckten Buches, das sich in den letzten Jahren weiter entwickelt hat, zur Lektüre vorlegen. Dort ist das schwer zu Sagende breiter entfaltet. Ich denke aber, daß das Wesentliche auch schon so deutlich geworden ist und behalte das Weitere der mündlichen Aussprache vor. Das Eine aber dürfte wohlklar sein, daß die grauenhaften Krämpfe, in denen sich jetzt die unbeschreibliche unselige Menschheit windet, von solchen Voraussetzungen aus noch am ehesten zu begreifen sind. Hier rast sich der ursprüngliche innere Gegensatz des Lebens in größtem Maßstabe aus, nicht über die Köpfe der Individuen hinweg, sondern recht eigentlich durch ihr Wollen und Handeln. Und man kann feststellen, wie gerade dieser Paroxysmus auch die seelischen Gegenkräfte mobil macht - nicht im Sinne eines äußeren Sieges, sondern als rein innere Bewegung zur Rettung der in ihrem Kerne bedrohten Menschheit und Menschlichkeit. Wiecherts Buch ist deshalb so entmutigend, weil es die Gegenwirkung eigentlich nur in der Form der absoluten Resignation, ja der Flucht in die Einsamkeit kennt. Es sieht so aus, als ob der Wille zum Widerstand vollkommen erlahmt sei. Aber wir müssen uns immer wieder dran erinnern, daß die positiven Kräfte auch zur Weltwirklichkeit gehören, ja daß in ideller Hinsicht das Negative immer wieder vom Positiven zehrt und von ihm einen großen Teil seiner Wirkungskraft erborgt. Es bleibt bei dem christlichen Satze, daß die Liebe die eigentliche Heilkraft ist. Wie gesagt, darüber müssen wir demnächst mündlich reden. Eine erschöpfende Darlegung des Gemeinten würde eine ganze Abhandlung erfordern. Eine besondere Frage ist ja noch, wie weit man in dieser Zeit der Bedrängnis des Christentums solche Gedanken, die für viele ja einfach eine Absage an das Christentum sind (was sie nicht sein wollen), ausgesprochen werden sollen. Hier ist zweifellos Behutsamkeit geboten. Aber wenn jemand einmal so weit ist, daß ihn solche Zweifel bedrängen, dann ist vollkommene Ehrlichkeit gegen sich selbst das einzig Mögliche, denn künstlich konservierte Fassaden halten im Ernstfalle doch nicht. Die Nachricht über die Deutsche Rundschau und ihren Herausgeber hat mich nicht überrascht. Mir war schon das Ausbleiben der fälligen Nummern aufgefallen. Wer heute so viel riskiert, der muß auch solcher Schicksale gewärtig sein. Schade, daß Ihre Klages-Bespreschung so gekürzt worden ist. Vielleicht geben Sie mir einmal das vollständige Manuskript zu lesen. Sein Verleger sagte mir kürzlich, seine Schriften seien Völlig vergriffen und es sei fraglich, ob er für den Neudruck Papier bewilligt bekommen werde. Noch etwas Hübsches im gleichen Zusammenhang! Ein Bibliotheksdirektor berichtete mir kürzlich, es sei wahrhaft possierlich gewesen, wie die Volksschullehrerschaft Klages verschlungen habe, so lange er von der Partei anerkannt wurde, und wie das mit einem Schlage aufgehört habe, als er offen abgehalftert wurde. Den neuen Jünger habe auch ich mit lebhafter Teilnahme und mit den gleichen Empfindungen gelesen. Immer wieder fällt es mir allerdings auf, wie er zeitweilig in die eigentümlich distanziert-artistische Haltung gegenüber menschlichen Schicksalen zurückfällt. Der Vergleich mit Carossas Rumänischem Tagebuch zeigt, was ich meine. Heutzutage, inmitten von so viel unsäglichen Greueln, verlangt man nach einer völlig eindeutigen Entscheidung für das bedrohte Menschentum. Noch ein Wort über Chamberlains "Grundlagen". Es ist lange her, daß ich sie gelesen habe. Aber geblieben ist der Eindruck von einem begabten, vielseitig interessierten, aber doch der letzten Gründlichkeit des Denkens ermangelnden Autor. Man kann an ihm die Gefahren des Dillettantismus - dessen Vorzüge er selbst treffend hervorgehoben hat - studieren. Übrigens hat er doch gegenüber dem Christentum eine sehr respektvolle Haltung gewahrt. Er würde das, was heute geschieht, aus tiefsten Herzen verdammt haben. Und auch vor dem heutigen Rassetaumel würde ihm vermutlich grauen. Ich rechne also mit einem demnächstigen Zusammensein, bei dem alles hier Unerledigte zur Sprache kommen wird. Wir halten in diesem Sinne den Daumen. Mit vielen herzlichen Grüßen, auch von meiner Frau, Ihr gez. Th. Litt Von unserem Jüngsten haben wir nach wie vor gute Nachrichten. Es ist da, wo er liegt, im Augeblick nicht viel los. Aber was kann der Winter alles bringen!; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig