Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0479
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms; Brief 2 Blatt A5
Zeitvon1942
Zeitbis1942
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Ihr lieber Brief vom 1.7. gab ein höchst eindringliches Bild von der Gemütsverfassung, in der ein besinnlicher Kriegsmann jetzt im Osten seine Tage verbringt. Ich wünschte, ich könnte mit gutem Gewissen einen Hauch von froher Stimmung und Zuversicht in ihren jetzigen Aufenthaltsort hineinblasen. Aber das geht beim besten Willen nicht. Wenn ich Ihnen sage, daß unser Jüngster, der mit einem Urlaub von angeblich 16 Tagen hierher gekommen war und angefangen hatte, sich seiner herzlich zu freuen, heute brieflich zurückbeordert worden ist, so können Sie sich unschwer vorstellen, welche Stimmung hier ist. Natürlich bedeuten 9 Tage weniger im Hinblick auf das Ganze herzlich wenig. Und doch ist der Mensch nun einmal so geartet, daß er mit Gier alles ergreift, was das Unabwendliche eine kurze Zeit hinausschiebt. Was Sie über Ihre innere Vereinsamung schreiben, hat mich herzlich betrübt. Selbst wir ältere Menschen verspüren doch heute ganz besonders das Bedürfnis nach einer vertraulichen Aussprache mit Menschen, mit denen man im Wesentlichsten eins ist. Und es gehört vielleicht zu den bemerkenswertesten Erscheinungen der Zeit, daß die Möglichkeit des Sichfindens manchmal alle Abstände des Alters, der äußeren Lage, des Berufs usw. überwinden. Aber natürlich ist es auch daheim so, daß man aufs sorgfältigste auswählen muß. Und wie wenig Auswahl bietet sich in Ihrer momentanen Lage! Ich spüre ja selber immer mehr, wie weit ich heute von manchen Menschen abgerückt bin, mit denen ich früher auf ganz gutem Fuße stand. Ja, es fehlt sogar unter den mir früher relativ nahestehenden Menschen nicht an solchen, mit denen ich keinerlei inneren Kontakt mehr habe. Den Grund dieser Erfahrungen haben Sie richtig bezeichnet. Das Gros der Menschen ist mit seinen eigenen Angelegenheiten so eingehend beschäftigt, daß es für die Sorgen und Schmerzen der anderen überhaupt kein Ogan mehr hat. Ich muß sofort an das Bibelwort von der "Herzenhärtigkeit" denken. Oft sind es dieselben Menschen, die ein lautes Zetergeschrei erheben, sobald es ihnen selber nicht so ganz gut geht. Auch ich erlebe deshalb die Verengung des Menschenkreises, mit dem ich wirkliche seelische Gemeinschaft habe. Es ist grauenvoll, sich davon überzeugen zu müssen, mit welcher Rapidität die seelische Verödung und totale Mechanisierung auf allen Seiten fortschreitet. In dieser Hinsicht sind sich die im Osten gegenüberstehenden Gegener ähnlicher, als sie wahrhaben möchten. Auf der anderen Seite bemerkt man in manchen verstörten und aufgeschreckten Seelen ein verlangendes Ausgreifen nach allen möglichen Heilslehren, die ihnen ein Ausruhen zu versprechen scheinen. Vieles erinnert an die spätrömische Zeit. Flucht um jeden Preis! Nur ja nicht klar sehen, was ist! Neben unserem Jüngsten ist im Augenblick auch unser Ältester daheim. Er ist wegen einer üblen Angina im Lazarett gewesen und soll zur Schonung seiner Gesundheit zunächst nicht wieder heraus. Also von dieser Seite her sind wir im Augenbliack von unmittelbaren Sorgen verschont. Aber um so größer sind diejenigen, mit denen wir den Jüngsten ins Feld begleiten. Denn wir sind überzeugt, daß er im Gegensatz zu seinem Bruder nicht zu denjenigen gehört, die sich mit Eleganz durch die Kommißverhältnisse hindurchzufinden wissen. Ich brauche Ihnen von den in dieser Hinsicht bestehenden Abständen der Begabung nichtszu sagen. Da es durch den Besuch der Söhne in diesen Tagen bei uns viel Arbeit und Unruhe gegeben hat - wie soll die arme Mutter die beiden Riesen und ihren gefräßigen Mann satt kriegen! - so hat meine Frau sich in der letzten Zeit nicht nach den lieben Ihrigen umsehen können. Das soll aber bestimmt nachgeholt werden, sobald es bei uns wieder etwas ruhiger geworden ist. Sie schreiben, Sie seien durch alle Erfahrungen nicht zum Misanthropen geworden. Es ist wirklich schwer, sich vor diesem Schicksal zu bewahren. Jedenfalls muß ich für mich das eine feststellen: mei Urteil über den menschlichen Durchschnitt ist in all diesen Jahren zunehmend ungünstiger geworden. Es sind eben doch Lehrjahre gewesen, mit deren Ertrag fertig zu werden unendliche Mühe macht. Als ich kürzlich mit Ihrem Chef zwei ganz hervorragende Flaschen Bordeaux leerte, da waren wir uns in diesem wie in vielem Anderen vollkommen einig. Aber davon schreibt man besser nicht viel. Von dem Ernst Jünger höre ich jetzt zum ersten Mal. Vielleicht tröstet es Sie ein wenig, wenn ich Ihnen sage, da´ß auch wir Daheimgebliebenen manchmal bittere Mühe haben, die für ernste Lektüre erfoderliche Konzentration aufzubringen. Wir beide mitsamt den Söhnen grüßen Sie aufs herzlichste und wünschen Ihnen, daß es an Ihrer Stelle recht ruhig bleiben möge, Es ist nicht nötig, daß jeder das Ritterkreuz erwirbt! Ihr gez. Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig