Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0477
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1942
Zeitbis1942
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Ich habe wirklich zu viel Verständnis für die äußere und vor allem für die innere Lage des Frontsoldaten, als daß ich mich an dem Ausbleiben von Nachrichten auch nur einen Augenblick stoßen könnte. Umgekehrt macht ein so ausführlicher Bericht, wie er von Ihnen heute morgen eintraf, um so mehr Freude. Wir danken Ihnen herzlich dafür. Manches von dem, was Sie berichten, war uns ja durch Erzählungen Ihrer lieben Frau und Herrn Stegers schon nahe gebracht worden. Aber es war erfreulich, nun auch das Ganze im Zusammenhang vorgeführt zu bekommen. Ihr Brief beweist mir, daß Sie, wie jeder, der Derartiges erlebt, das Durchgemachte trotz allem als eine wenn auch teuer erkaufte Bereicherung des inneren Menschen ansehen. Wie man sich ja überhaupt inmitten von allen schweren Sorgen und mancherlei Bitternis eingestehen muß, daß der Mensch es offenbar nötig hat, von Zeit zu Zeit in die harte Schule der Not geschickt zu werden - wenn auch die Lektion, die unser Geschlecht gegenwärtig erfährt, das Maß des aus pädagogischen Gründen zu Rechtfertigenden doch wohl erheblich überschreitet. Was Sie über Ihren politischen Unterricht erzählen, das erinnert mich lebhaft an die entsprechende Tätigkeit, die ich beim Kommiß eine Zeit lang ausübte. Auch ich habe damals gefunden, daß die Kameraden für dergleichen Aufklärung sehr empfänglich waren - freilich nur dann, wenn jede aufdringliche Tendenz fehlte. In dieser Hinsicht ist ja wohl bei Ihnen nichts zu befürchten. Überaus erfreulich ist ja das, was Sie über eine in Aussicht stehende Rücknahme ins Hinterland erzählen. Daß das Gesuch Ihres Herrn Vaters Erfolg gehabt hat, freut mich um so mehr, als ich von anderen vollkommen gleich gelagerten Fällen weiß, in denen der Appell der Eltern in einer sehr brüsken Form zurückgewiesen worden ist. Das Militär ist wirklich noch immer der Bereich der absoluten Unberechenbarkeit und Zufälligkeit. Wie Vieles hängt von der menschlichen Beschaffenheit der Personen ab, die über das Los des Einzelnen zu entscheiden haben! Wenn Sie in meine rheinische Heimat kämen, so würde mich das sehr freuen, obwohl sich in dieser von Luftangriffen bedrohten Zone jetzt nicht gerade angenehm weilen läßt und alles das, was zum Reiz der Landschaft an materiellen Genüssen hinzugehört, auch für teueres Geld nicht mehr zu haben. Der Wein verschwindet zusehends von der Bildfläche, und das in einem Augeblick, da das Bedürfnis nach den von ihm gespendeten Tröstungen gewaltig zunimmt. Sie fragen nach unserem Ergehen. Unser Ältester hat den russischen Winter verhältnismäßig gut überstanden, da er als Kraftfahrer oft hinter der Front (bis Krakau und Kublin) zu tun hatte. Der Jüngste ist noch immer als Artillerist zur Ausbildung in Naumburg, und zwar jetzt in einem K.O. N.-Kursus. Anfang Juli wird er fertig sein, und dann beginnt für uns die Sorge sich zu verdoppeln. Meine Frau schlägt sich mit ihren Hausfrauenpflichten gut, wenn auch mühseelig durch, und ich - ich habe zwar die Herderarbeit vollendet (der Druck zögert sich wegen der bekannten Schwierigkeiten unerträglich hin), aber ich tue diese und jede ähnliche Arbeit ohne jede Spur von innerer Freudigkeit, aus Gründen, über die ich lieber nichts schreiben will. Es ist veilleicht das Unglück von Heimatkriegern, daß wir nicht auf einen engen und übersichtlichen Bezirk streng vorgeschriebener Arbeiten eingeshränkt sind, sondern die Möglichkeit und die Muße haben, die Blicke über das Ganze hin und in die Zukunft hinein gehen zu lassen. Immer, wenn ich mit Frontsoldaten spreche, überzeuge ich mich davon, wie heilsam für den inneren Menshen die Abblendung des Blicks ist, die sich aus der Frontsituation von selbst ergibt. Ich hoffe sehr, daß wir uns in absehbarer Zeit einmal über alle diese Dinge besser unterhalten können als es in einem Brief möglich ist. Ob wohl Ihre liebe Frau mit Beate bald nach Leipzig zurückkehrt? Sie schrieb von dieser Absicht. Dann würde es ja doppelt wahrscheinlich sein, daß wir uns bald wiedersehen. In dieser Hoffnung grüße ich Sie zusammen mit meiner Frau aufs herzlicheste. Ihr gez. Th. Litt Meine Frau sandte an Sie vor etwa 14 Tagen ein paar Zigaretten. Bitte nicht danken!!!; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig