Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Professor Litt!
Vor genau einem Jahr haben Sie - in einem Brief, für den ich mich nicht einmal mehr ausdrücklich bedankt habe - Ihr Urteil über das Oetinger-Buch dahin zusammengefasst, daß "da noch vieles unfertig und nicht gründlich genug durchdacht" sei. Ich selbst ging viel schärfer mit mir ins Gericht. Aber die bemerkenswerte Art, wie dann ausgerechnet die Historiker auf den "Wendepunkt" reagiert haben (Herr Dr. Muths Abkanzelung Oetingers hat der damaligen Abkanzelung Litts durch Baeumler in Ton und Inhalt durchaus Ehre gemacht!), hat mir dann doch wieder gezeigt, daß uns Oetingers Angriff auf eine staatsbürgerliche Pädagogik auf der Grundlage des geschichtlichen Bewußtseins eben doch etwas zu sagen hat. Daher ist die Grundstellung der neuen Fassung des Buches unverändert, wenngleich im einzelnen manches gemildert sein mag, was Sie in der ersten Auflage besonders gereizt hat. Einseitig und hartnäckig bewegt sich das Buch wieder in der Gegenwärtigkeit - nicht weil ich übersehen würde, daß die Geschichte eine wesentliche Dimension des Menschlichen ist, sondern weil in der staatsbürgerlichen Pädagogik m.E. die historische Perspektive jene Tätigkeit im Politischen besonders gefördert hat, von der im Buch S. 255 ff. die Rede ist.
Ich muß damit rechnen, daß Sie einem Buch, das aus der philosophischen Nachbarschaft Baeumlers kommt, mit besonderer Skepsis gegenüberstehen, und darum werde ich schon ganz glücklich und zufrieden sein, wenn Sie es nicht rundweg auf die Seite des Bösen stellen, sondern ihm zubilligen, daß auf diesen Seiten Erfahrungen einer jüngeren Generation um eine ihnen gemäße pädagogische Gestalt ringen.
Mit verbindlichen Empfehlungen
verbleibe ich Ihr sehr ergebener
gez. Th. Wilhelm; von: Wilhelm, Theodor an: Litt; Ort: Flensburg |