Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0458
TitelBrief von: Wetzel, Walter (Plauen i.V.) an: Litt
Enthälths; Brief 1 Blatt A4; Briefkopf: Walter Wetzel, Plauen i.V.
Zeitvon1950
Zeitbis1950
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber, hochverehrter Herr Professor! Wie gern ich gerade diesmal leibhaftig unter den Gratulanten erscheinen möchte - als Kaspar, Melchior od. Balthasar! - das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Mit meinen Gedanken werde ich den ganzen Tag bei Ihnen sein. Und wie viele gute Wünsche wir - das sind zur Zeit wieder einmal drei - für Sie und Ihre Lieben hegen, wissen Sie auch. Wenn ich die Jahre überblicke, besser gesagt: die Jahrzehnt, die ich mit Ihnen verbunden sein durfte, so frage ich mich, wohin sie entschwunden sind. Und daß Sie nunmehr bereits ins biblische Alter eintreten sollen, wer vermag das zu fassen? Umso weniger will dies glaubhaft erscheinen, als Sie ja bis in die jüngste Zeit hinein eine bewundernswerte Frische und Wirksamkeit entfaltet haben. Mögen sie Ihnen noch lange erhalten bleiben, Ihnen selbst zur Freude und uns zum Segen! Was ich Ihnen vor zehn Jahren glaubte als Gabe darbringen zu dürfen, den Ausdruck der Liebe und Verehrung Ihrer Schüler und Freunde, das wird Ihnen heute sicher in reichen Maße zuflitzen. Ich habe mich in den letzten Jahren, namentlich seit Ihrem Scheiden von hier, oft gefragt, worin denn eigetlich letzlich das zu suchen sei, das mich so eng und dauerhaft mit Ihnen verbindet. Ich habe auch Gelegenheit gehabt, mit wenigen anderen Menschen darüber zu sprechen. Es ist mir wohl so ergangen wie vielen anderen aus Ihrem Schülerkreis: zum vollen Bewußtsein meiner selbst bin ich eigentlich erst durch Sie gebracht worden. Vor allem habe ich Ihnen zu verdanken, schon während meines Studiums und seitdem in wachsendem Maße davor bewahrt geblieben zu sein, dem rein mathematisch-naturwissenschaftlichen Denken einseitig und ausschließlich zu verfallen; Ihnen danke ich, um es mit Ihren eigenen Worten zu sagen, daß ich nicht "restlos benommen vom Geist der weltentfremdenden Wissenschaft, für den Anruf des Lebens taub wurde." Ich habe das während meiner Amtszeit in Gesprächen mit Kollegen und Freunden immer wieder feststellen müssen. In aller Deutlichkeit ist es mir wieder bewußt geworden, als ich vor wenigen Monaten erst Ihren Aufsatz über Goethe und Hegel in "Studium generale" zu lesen bekam. Es muß wohl die Veranlagung vorhanden sein. Aber ich kann mir nicht denken, wie ich ohne die dauernde Verbindung mit Ihrem Gedankengut und ohne die - bewußt oder nicht bewußt gewordene - Beeinflussung durch Sie dem geisteswissenschaftlichen Denken hätte so nahekommen können. Und dieser Einfluß ist es sicher auch, der bewirkt hat, daß mich Goethescher und auch Hegelscher Geist so angesprochen hat. Täusche ich mich übrigens nicht, so ist in der Naturwissenschaft unserer Tage ein Punkt erreicht, an dem der "Sinnentleerung der Welt" durch die mathem. Naturwissenschaften von den erlauchtesten Vertretern derselben selbst entgegengetreten wird und eine Einheit gesucht und gefunden wird. Wie anders sollte man sonst Menschen wie Planck, Einstein und auch Heisenberg verstehen! Vergegenwärtige ich mir noch, wie im Laufe der Jahre nun auch noch ein so freundschaftliches Verhältnis zwischen Ihrer und meiner Familie sich herausgebildet hat, begründet freilich nicht zuletzt zu einem guten Teil durch gleiches Schicksal, und das hieß meist gleiches Leid, so habe ich an diesem Ihrem Ehrentage allen Grund, dankbar zurückzublicken. Sprachen Sie nicht selbst einmal, als wir uns wiederholt unverabredet in der Sommerfrische trafen, scherzhaft von der sich bekundenden praestabilierten Harmonie der Seelen? Man hält sich mit zunehmenden Alter an solche Erinnerungen und lächelt wehmütig - dankbar, daß es einem beschieden war. Die Zeit ist wieder mehr denn je dazu angetan, sich auf bleibende Werte zu besinnen. Zu diesen aber wird für mich immer in erster Linie die Freundschaft gehören, die Sie mir gewährten. Lassen Sie sich heute einmal dafür danken! Hoffentlich begehen Sie diesen Tag im Kreise Ihrer lieben Familie und Ihrer Freunde so festlich und schön, wie es seiner Bedeutung zukommt. Mit innigen Wünschen und herzlichen Grüßen bin ich Ihr stets dankbarer Walter Wetzel; von: Wetzel, Walter an: Litt; Ort: Plauen i.V.