Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0457
TitelBrief von: Werner, Ernst (Heisterberg) an: Litt
Enthälths; Brief 2 Blatt A4 vgl. B 1-0469 - Gutachten von Litt über Ernst Werner - wahrschweinlich derselbe
Zeitvon1950
Zeitbis1950
BemerkungenDokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Professor. Frau , Arnold oder Adenauer werden sicherlich gar nicht einmal wissen, daß der 27 Dezember Ihr Geburtstag ist, so daß sie von dem schönen Vorrecht des Staatsmannes, den Philosophen zu ehren, keinen Gebrauch machen können. Um dieses Vorrechts willen hätte ich gern für einen Tag Kultusminister oder Bundeskanzler sein mögen. Aber so wird alles, was aus dem seltenen Anlaß dieses Tages hätte getan werden können und sollen, im modus irrealis bleiben. Das Land Norrhein-Westphalen und die Bundesrepublik werden nichts tun, um wenigstens einen Teil der Schuld, in der sie gegenüber dem Erzieher des Lebens ihrer Jugend stehen, dadurch zu begleichen, daß sie Ihnen ein wohnliches Heim zur Verfügung stellten. Es ist leider - bei meinem gänzlichen Mangel an staatsmännischen Fähigkeiten - auch unwahrscheinlich, daß ich in zehn Jahren als hoher Würdenträger das heute Versäumte nachzuholen imstande sein würde. Während ich mit solchen Ausflüchten in den Konjunktiv mein Unvermögen zu bemänteln vergeblich mich bemühe, beginnt im Radio die Übertragung des Weihnachtsoratoriums: "Jauchzet, frohlocket!" Wie ganz anders vermögen doch die Worte und die Musik den Eingangston auszudrücken, was mich im Gedenken an all das bewegt, was ich Ihnen, sehr verehrter Herr Professor, verdanke. Je älter ich werde, um so deutlicher wird mir bewußt, daß ich das, was ich geworden bin und werde, wie viele ungezählte Ihrer Studenten Ihnen, der Begegnung mit Ihnen und der Beschäftigung mit Ihrer Philosophie verdanke. Der alte Vergleich mit dem Blinden dem die Augen geöffnet wurden, besagt noch am besten, was wir demjenigen schulden, der uns die Welt des Geistes zu sehen gelehrt hat und fort und fort lehrt. Wie reich, wie erfüllt, wie glücklich wird fortan das Leben denjenigen, der bisher blind gewesen und nun sehend gemacht worden ist und anfangen kann teilzuhaben an den unendlichen Reichtümern und Schätzen. Wer aber gar zu Hause ist in diesem Reich, wer in einem langen Leben der Arbeit und Forschung sich dort ein Bürgerrecht erworben hat, wer nicht nur zu den Hütern und Wächtern dieser Schätze gehört, sondern ihr Mehrer und Förderer ist, um wieviel reicher, erfüllter, glücklicher muß dessen Leben sein. Ich weiß den hohen Vorzug Ihrer persönlichen Bekannschaft dankbar zu schätzen, aber ein mit den Jahren immer schärfer werdendes Unterschätzungsvermögen für die Rangordnung geistiger Leistungen läßt mich den ungeheuren Abstand ahnen, der bei aller menschlichen Nähe den Fürsten im Reich des Geistes von denen trennt, die an den Werken und Schöpfungen nur als aufnehmende und studierende teilhaben. So bitte ich Sie, sehr verehrter Herr Professor, es recht zu verstehen, daß es gerade an Ihrem Geburtstag nur die Gesinnung und das Gefühl der Verehrung und der Dankbarkeit sind, die mich bewegen, und der Wunsch, es möge Ihnen beschieden sein, Ihre Arbeit Segen für alle noch viele glückliche und reiche Jahre fortsetzen. Ihr Ihnen stets ganz ergebener Ernst Werner; von: Werner, Ernst an: Litt; Ort: Heisterberg