Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Professor!
Mein Sohn hat Ihre Karte als sie ihn hier in Göteborg erreichte, wohl schon beantwortet. Er selbst aber hatte seinen Vater seit 1941 nicht mehr gesehen und konnte Ihnen wenig über die letzte Zeit seines Lebens und Lehrens berichten. Ich bin vor 10 Tagen hierher zurückgekommen um mich zu entscheiden, wo ich den letzten Rest meines Daseins verbringen soll und um meinen Sohn wieder zu sehen und über unsere Einrichtung und meines Mannes Bibliothek zu bestimmen.
Noch bin ich völlig verwirrt und erschlagen von der starken Umstellung und ich weiss noch garnicht, wie ich entscheiden werde. Zuerst gehe ich jedenfalls nach New York zurück, wo ich für meines Mannes Nachlass wichtige Dinge zu ordnen habe und wo meine Tochter und Schwester lebt und viele unserer Freunde, die meinem Mann gerade in letzter Zeit sehr nahe gestanden haben. Was ich Ihnen heute sagen kann ist nicht viel, weil meine Kräfte sehr gering sind. Aber ich will es nicht versäumen Ihnen zu erzählen, wie mein Mann von Ihrem ersten Brief, der uns nach Luzern nachgeschickt wurde, bis zum letzten Tag Ihrer gedacht hat und wie Sie ihm schliesslich, als die Hoffnung auf Widerstand in Deutschland immer mehr sank, zum Symbol dessen wurden, was das alte Deutschland immer für ihn geblieben ist. Noch in der letzten Woche vor seinem Tode (der am 13ten April 1945 ganz unerwartet eintrat und ihn in einer Sekunde, völlig unbewusst abberief) kam eine Anfrage von einem Kommite, ob er Namen in Deutschland nennen könnte, auf deren Zuverlässigkeit man unbedingt vertrauen könnte, da man die Absicht habe, den Deutschen selbst den Wiederaufbau zu überlassen. Als er dann eine Weile nachgedacht hatte, nannte er nur Ihren Namen (wir hatten von unserem Freunde Hoffmann nichts mehr gehört und wussten nicht ob er lebte). Darauf wurde ihm geantwortet, dass Sie schon, fast überall als Einziger, an der Spitze der bisherigen Liste standen. Ein wehmütiges Lächeln folgte diesem Bericht. Mein Mann, wie Sie wissen, bis dahin ein unerschütterlicher Optimist, unterschied sich seit vielen Jahren, in der Frage, ob Deutschland in absehbarer Zeit von seinem schrecklichen Verfall sich würde erheben können, wesentlich von all seinen Kollegen und Freunden. Er sah den Schaden an seiner Wurzel und glaubte nicht an Heilung durch Wunder. In dem in ein paar Wochen erscheinenden Buch, das gerade vollendet hatte als er starb, werden Sie die Ursache dieses Pessimismus erklärt finden. Es heisst "the Hyth of the State" und erscheint bei der "Yale Universitypress", wo vor ein und ein 1/2 Jahren, sein erstes Amerikanisches Buch, der Essay on Man, erschienen ist. Dieses letzt genannte Werk ist eine Zusammenfassung der Symbolischen Formen, die für den Englischen Leser zu lang und schwierig sind, da sie noch nicht übersetzt sind. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, ob Sie Englisch gerne lesen, Ich würde Ihnen dann alle in Amerika erschienen Schriften zugehen lassen, so bald dies möglich ist. Ich weiss, wie sehr mein Mann dies gewünscht hätte. Sie schreiben von den Rätseln die das Geschehene aufgibt und von der Heimatlosigkeit die Sie erfüllt. Es ist meinem Mann nicht anders gegangen. Man hat ihm das Leben in Amerika so leicht gemacht, wie man konnte und er hat sich dort, obwohl er im ungünstigsten Augenblick, der alles Interesse auf sich lenkte dort eintraf -- viele neue Freund erworben und als er starb hatte ich das Gefühl. dass er kaum jemals vorher so erkannt worden war, von so Vielen. Das heisst aber nicht, dass er sich nicht fremd fühlte bis zum letzten Augenblick. Nur war es ja seine rührend dankbare Natur, die ihn nie vergessen liess, welch guter Stern ihn, trotz des allgemeinen Unheils, begleitet hat. Er starb beim Verlassen der Universität in den Armen eines Studenten, der gerade vorbei kam. Ahnungslos und mit einem Lächeln auf den Lippen, einen Tag nach dem Tode des Präsidenten, welches Geschehen ihn sehr erschüttert hatte.
Um Ihnen noch kurz etwas von seinen letzten Jahren zu berichten, will ich Ihnen sagen, dass er niemals sein Urteil, über was machen wir mit Deutschland nach dem Kriege abgegeben hat. Er sagte immer, dass er sich darüber kein Urteil erlauben könne, da ihm dieses Deutschland unbekannter wäre, wie Hinterindien. Das Einzige was er als positiven Plan geäussert hat war, dass er der Meinung war, dass alle Deutschen Universitäten zu schliessen hätten, auf mindestens 10 Jahre und dass sich die wenigen zuverlässigen Universitätslehrer den Schulen zur Verfügung stellen sollten, wo man beginnen müsse den Schaden auszumerzen, weil dort das schlimmste Unheil geschehen war. Er meinte, dass man evt. sehr begabte und schon fortgeschrittene Studenten in anderen Ländern zu Ende studieren lassen sollte; sonst aber hielt er es für wichtiger die Deutsche Jugend erst gründlich zu sieben, ehe man sie an eine Hochschule heran lassen sollte. --- Hätte er alles gehört was nach Ende des Krieges erst in seiner ganzen Scheusslichkeit zu Tage befördert wurde -- wer weiss ob er selbst diesen spärlichen Plan noch hätte bestehen lassen. Gut, dass er es nicht mehr erlebt hat. Aber dass er nicht erlebt hat Ihre erste Karte zu sehen -- die der erste Gruss aus Deutschland war, wie damals der letzte -- bedaure ich sehr.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn die Nachricht von meines Mannes Tod durch Sie an die Öffentlichkeit kommen würde. Bisher habe ich auch von Hoffmann nichts gehört als dass er an Dr. Kristeller in New York geschrieben hat.
Ich danke Ihnen für Allles was Sie in diesen furchtbaren Jahren getan haben um den Glauben an die Menschheit nicht ganz in uns ersterben zu lassen. Und möge ein Tag kommen an dem ganz Deutschland dies fühlt.
Ihre sehr ergebene
gez. Toni Cassirer; von: Cassirer, T. (Toni ?) an: Litt; Ort: Göteborg |