Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochgeeherter Herr Bundespräsident!
Darf ich Ihr freundliches Interesse für den Fall eines emigrierten deutschen Hochschullehrers in Anspruch nehmen, aus dem sich ein wirklicher Skandal ergeben kann, wenn nicht sofort etwas Entscheidendes geschieht.
Es handelt sich um den ehemaligen etatm. außerordentlichen Professor der Psychologie, Dr. med. et phil. Erich Stern von der Universität Gießen, der 1933 am Hessischen Pädagogischen Institut Mainz (bei der Technischen Hochschule Darmstadt) angestellt war und dort mit Pension entlassen wurde. Er ist seitdem in Paris ansässig und hat sich mit seinen Arbeiten zur Kinderpsychiatrie und somatischen Psychologie einen internationalen Namen erworben. Wegen seines Alters (65) verliert er am 1. Oktober ds.Jrs. seine jährlich erneuerte Klinikstelle und seine Existenz.
Stern ist französischer Staatsbürger geworden, weil er sonst nicht dort hätte beschäftigt werden können. Er hat einen zweifelsfreien Rechtsanspruch auf Weiterzahlung seines Ruhegehaltes und Wiedergutmachung. Jedoch schwebt seit Jahren ein Kompetenzstreit zwischen den Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz, sodaß Stern noch keinerlei Entscheidung und Zahlung erhalten hat. Es ist zu befürchten, daß sich der Kollege in seiner wirklichen Notlage ein Leid zufügt, was bei seinem Ruf in der medizinischen Welt nicht ohne Pressekommentare bleiben würde.
Ich würde es nicht auf mich nehmen, Sie mit dieser Angelegenheit zu behelligen, wenn ich nicht der Meinung wäre, daß eine beschleunigte Erledigung wenigstens durch sofortige Aufnahme der Ruhegehaltszahlung unbedingt notwendig ist, damit der Kollege, dessen Loyalität gegen sein Vaterland gerühmt wird, von einer Katastrophe mit ihren kompromittierenden Folgen für den Bund bewahrt wird.
Ich bin mit den besten Grüßen
Ihr ganz ergebener; von: Litt an: Bundespräsident |