Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0388
TitelBrief von: Dehio, Ludwig (Marburg) an: Litt
Enthältms; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1956
Zeitbis1956
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Litt, die freundliche Zusendung Ihres neuesten Büchleins bereitet mir große Freude - und große Beschämung. Sehe ich doch mit Schrecken, daß in meine zeitungslose Festzeit die Nachricht von dem besonderen Feste, das Sie gefeiert haben, garnicht gedrungen ist. Ich hole als gedemütigter Provinzler meine von ganzem Herzen kommenden Glückwünsche nach. Ich darf sagen, daß die Begegnungen mit Ihnen auf mich stets eine eigentümlich erfrischende Wirkung geübt haben, so als ob in einem Zimmer mit verbrauchter Luft ein Fenster geöffnet werde. Ihre bloße Gegenwart bei einer Sitzung genügt schon, um nicht nur das geistige Niveau zu heben, sondern auch das sittliche. Ihre Persönlichkeit wirkt wie eine Verkörperung der Integrität, wie eine Mahnung diese Zeit mit reinem Herzen zu bestehen. In Ihrem neuen Buche kann ich nur mit Bewegung lesen. Es erscheint mir wie eine gedruckte Fortsetzung unserer sommerlichen Unterhaltung im Zuge von Marburg nach Frankfurt. Ich empfinde dabei freilich schmerzlich, wie sehr mir die Schulung des abstrakten Denkens abgeht, um mich über das Gelesene so klar auszusprechen, wie ich es gerne möchte. Es geht mir bei der Lecture ein wenig wie bei einem Wechselbade von kaltem und heißem Wasser, das mir einmal ärztlich verordnet wurde. Bald bin ich entzückt durch Ihre geschliffenen Formulierungen, die meine stumpfen Gedanken bestätigen. Bald bin ich angereitzt zur Opposition, wie Sie sich leicht vorstellen können, wenn Sie in meinem Büchlein, das Sie besitzen, die letzte Seite überfliegen. Einerseits bin ich Ihnen restlos dankbar, daß Sie für die Wiedererweckung des geschichtlichen Bewußtseins plädieren: besteht doch wirklich bei uns die Gefahr des "Fellachentums". Situationserkenntnis und Sinndeutung der Vergangenheit sind unabdingbare Forderungen. Andrerseits frage ich mich, ob es möglich ist diesen Forderungen als Abendländer, der ich bleiben möchte, zu genügen, ohne auch das methaphysische Glaubensfundament des Abendländers bewußt zu machen. Ohnedem sehe ich keine Möglichkeit dem Totalitarismus welcher Farbe auch immer die Spitze zu bieten. Die historischen Generationen haben zunehmend dieses Fundament vergessen. Daher die beklagenswerte Haltung so vieler Historiker im Dritten Reich, die sich im wiederholen wird. Aber muß der Historismus so wirken? Ihre Persönlichkeit spricht dagegen! Gleichviel: das Grübeln, wie sich geistig das Abendland gegen die rote Flut abdämmen ließe, verläßt mich nicht. Und ich wäre glücklich, wenn ein so verehrter Charakter und scharfsinniger Denker wie Sie uns recht deutlich sagte, wie wir die Verteidigung zu führen haben auch als Historiker. Ich komme immer wieder zu dem Ergebnis, daß es ohne Wendung, bzw. Rückwendung zur Methaphysik nicht angeht und daß der Historismus seine zentrale Stellung, die er im 19. Jahrhundert zunehmend inn hatte, räumen muß - was ja beileibe nicht heißt, daß wir der Beschäftigung mit der Vergangenheit entsagen sollten, eher im Gegenteil. Üben Sie Nachsicht mit diesen unbehülflichen Expectorationen, die Ihnen immerhin zeigen, wieviel Ihre Verehrer von Ihnen auch in Zukunft noch erwarten, und lassen Sie sich noch einmal alles Beste wünschen für Gesundheit und Arbeit von Ihrem aufrichtig ergebenen gez. Ludwig Dehio; von: Dehio, Ludwig an: Litt; Ort: Marburg