Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Professor!
Recht kleinmütig und verzagt machen wir uns an die schwierige Aufgabe, Ihnen, verehrter Herr Professor, die Gründe für unser beharrliches Schweigen von mehr als 2 Jahren einigenmaßen überzeugend darzustellen, und Ihrem Wunsche entsprechend von unseren Schicksalen getreulich zu berichten. Wir wissen nicht, ob es nicht überhaupt über das für Sie verzeihliche Maß von Nachlässigkeit hinausgeht, Ihren ausdrücklich geäußerten Wunsch in dieser Weise 2 Jahre lang außer Acht zu lassen, wie Sie ja annehmen müssen, aber wir wollen wenigstens versuchen, uns in etwa reinzuwaschen: Die parlamentarische Unfähigkeit unserer Klasse ist Ihnen doch sicherlich noch von mancher "Klassengemeinde" und "Abstimmung" her bekannt, und nur diesem traurigen Umstande ist es zuzuschreiben, daß nicht die fast täglich geäußerte Absicht, - verzeihen Sie - dem Litt mal zu schreiben" schon längts ins Werk gesetzt wurde. Wer sollte es tun? Nicht etwa einer! Nein, mehrere zusammen! Und wer? Und wie? Schier unüberwindliche Schwierigkeiten für ungeschulte Geister!!
So blieb das äußere Zeichen unserer dankbaren Gesinnung für Sie aus, aber seien Sie, Herr Professor, versichert, daß Sie in unser aller Herzen fortleben als unser verehrter und geliebter Ordinarius! Es wollte uns in den ersten Wochen nach Ihrem Weggang manchmal etwas wie Wehmut beschleichen, wenn uns die lehrplanmäßige Weisheit aus manchem Munde übermittelt wurde, dessen Träger unserer aller Meinung nach seinen Beruf mit absoluter Wahrscheinlichkeit verfehlt hatte. Mit Einzelheiten mögen Sie verschont bleiben; nur soviel sei gesagt: In diesen schrecklichen Zeiten war ---- das Auswendiglernen von Oden, Horaz-Oden nicht mehr als eine Alltäglichkeit. - Sie mögen daran ermessen, was sonst dieser "Unterricht" noch Beglückendes bot. Die Pausen füllten dann manchmal sehnsüchtige Wünsche nach Wiederkehr entschwundener Zeiten, Zeiten eines Lernens, das unter Ihrer Leitung uns allen Freude und Lust bereitet hat. Da waren wir oft daran, Ihnen brieflich unser Herz auszuschütten, aber dann, ja dann ---
Der große Tag der Reifeprüfung nahte. Trotz aller Arbeitswut, die plötzlich alle überkam, ward das Projekt, dieses Briefes mit erstaunlichem Eifer gefördert, um Ihnen wenigstens einen Abschiedsgruß der Klasse senden zu können, aber zur Ausführung ist es nicht gekommen. Das hatte diesmal einen besonderen Grund. Ein schweres Gewitter verdunkelte in den Wochen nach der schriftlichen Prüfung unsere Gemüter und erstickte auch diese edle Absicht, dies Gewitter endete, um es kurz zu sagen, mit der Ausschließung dreier Prüflinge wegen Vergehens gegen den grausamen § 7,7, der da handelt von Täuschungsversuch, Beihilfe etc.: Breuer, Dauben, Hommel. Die beiden letzteren sind geblieben und hoffen, Herbst ihr Abitur zu machen, während Breuer sich als Externer zu demselben Termine melden will. Wir übrigen haben, den hervorragenden Glücksgaben der einzelnen entsprechend "natürlich" bestanden. Die Koryphäen Deuchert, Keßler, Klebert u. Thomas wurden befreit. - Jetzt sind so ziemlich alle rings verstreut: Eschweiler und Braun gedenken ebenso wie Reis ihre Begabung für Mathematik und Naturwissenschaft als Ingenieure praktisch zu verwerten und sind bereits auswärtig tätig. Keßler "schlägt das Bankfach ein", während Gemein, Thomas und Streck kaufmännischen Gehilfen ihre kostbaren Kräfte zur Verfügung stellen. Klebert, der zwar augenblicklich sich praktisch auf seinen Ingenieurberuf vorbereitet, droht das Übermaß seiner patriotischen Empfindungen diesem Beruf zu entreißen und in den Dienst unserer Reichswehr zu stellen, um ihn später mit dem Offiziersdegen in der Hand im Kapf gegen den Landesfeind rühmlichst sterben, oder "unsäglichen Ruhm" erwerben zu lassen. Unser Schwingeler studiert in Heidelberg die Rechte, während wir übrigen der alma mater hier in Bonn treu geblieben sind, Eschbach als Mediciner, Schüller und Dahs als Juristen, Deuchert u. Keßler als Theologe und Chevalier als - Altphilologe. Der ist wohl der mutigste von uns allen. - Daß ich den Pillendreher Wittke fast vergessen, mögen Sie und er mit seiner benachteiligten Stellung im Alphabet entschuldigen. -
Wir hoffen, Ihnen hiermit ein einigermaßen umfassendes Bild unserer Schicksale seit Ihrem Scheiden gegeben zu haben. Es bleibt uns nichts mehr übrig, als die herzliche Bitte um Entschuldigung für unser unverzeihliches Schweigen im Namen aller Kameraden zu wiederholen und der hOffnung Ausdruck zu gebe, daß Sie sich stets so wohl befunden haben und befinden, wie wir etwa augenblicklich in der ungebundenen Freiheit des akademischen Lebens.
Wir schließen mit dem Ausdrucke dankbarster Verehrung für Sie und verbleiben mit den herzlichsten Grüßen
als die Elite Ihrer ehemaligen Prima:
Hans Dahs (Beuel a.Rh., Rheinaustraße 41)
Paul Keller, stud.theol. in Bonn
Ernst Deuchert Bonn
Fritz Streck
Heinrich Eschbach
P. Kepler
L. Klebert
P.S. Für die mehrfach übersandten Grüße unseren herzlichen Dank!
D.O.; von: Dahs, Hans u.a. an: Litt; Ort: Bonn |