Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0380
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Oswald
Enthältms; Brief 1 Blatt A5
Zeitvon1945
Zeitbis1945
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr Oswald! Es hat für mich immer etwas sehr Wohltuendes, zu sehen, wie viele Mitglieder der jüngeren Generation auch heute noch mit ihrer Arbeit fortfahren, als obe eine jähe Unterbrechung dieses Bemühens nicht zu befürchten sei. Daß auch Sie inmitten aller Plagen des Kommiß nicht von Ihren wissenschaftlichen Plänen ablassen, freut mich sehr zu hören. Von dem Thema "Möglichkeit historischer Erkenntnis" möchte ich Ihnen übrigens abraten, weil die Literatur über diesen Gegenstand allmählich unübersehbar geworden ist. Die anderen Fragestellungen halte ich für fruchtbarer. Ihre Abhandlung werde ich selbstverständlich sehr gerne lesen. Auch hoffe ich doch, daß, bevor Sie Goslar verlassen, noch einmal eine Begegnung möglich sein wird. Sie werden doch vermutlich noch einen Urlaub ins Sudetenland erhalten. Dann wollen wir auch über das Verhältnis von philosophischer "Wahrheit" und Glauben dasjenige durchsprechen, was das letzte Mal unerledigt blieb. Glauben Sie mir, daß mir die Bedürfnisse, zu denen Sie sich bekennen, nicht fremd sind. Den Wandel Ihrer militärischen Situation beklage ich aufs tiefste. Wie manchem meiner früheren Schüler ist es ähnlich ergangen! Auch solchen, die gesundheitlich sehr viel übler dran sind als Sie. Von der Verschlechterung der Lebensbedingungen des Offiziers haben wir uns überzeugen können, als wir unseren Jüngsten im Lazarett besuchten. Die Tendenz geht offenkundig dahin, alle Bevorzugungen, die der Offizier vor dem gemeinen Mann voraus hatte, zu beseitigen. Die allgemeinen Hintergründe dieses Vorgehens sind unschwer zu erkennen. Desgleichen die Folgen dieser Nivellierung. Sie werden eines Tages grauenvoll zu Tage treten. Unter der Oberfläche einer noch völlig unversehrten Ordnung bereiten sich Dinge vor, von denen viele sich nichts träumen lassen. Für uns, die wir klarer zu sehen glauben, heißt es sich innerlich wappnen, damit man nicht dem Ansturm des Unerhörten erliegt. Je mehr die ganze Welt, der wir angehören, aus den Fugen geht, um so mehr muß man in sich die Kärfte des Widerstands zu stärken versuchen. Meine besten Wünsche begleiten Sie in Ihre weiteren kriegerischen Schicksale hinein. Sie gelten auch Ihren Lieben. Wenn Sie mich weiterhin an Ihrem Ergehen teilnehmen lassen, so wird mich das sehr freuen. Die Beziehungen zu den nachrückenden jungen Menschen sind das Stück meiner akademischen Tätigkeit, das ich zu meiner Freude in die Phase der Emeritierung hinübergerettet habe. Mit den besten Grüßen, denen meine Frau sich anschließt, Ihr gez. Th. Litt; von: Litt an: Oswald; Ort: Leipzig