Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0368
TitelBrief von: Koehler, Otto (Freiburg i. Br.) an: Litt
Enthältms; Brief 1 Blatt A4; Briefkopf: Zoologisches Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
Zeitvon1952
Zeitbis1952
BemerkungenDokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Kollege, nehmen Sie meinen Dank für die Abschrift Ihres Briefes vom 1. Juli an Professor Hörlein und Ihren Brief an mich vom 3. Juli. Am 1. Juli schrieben Sie, weder Hörlein noch ein an der Sache interessierter Biologe habe es für nötig gehalten, Sie darüber zu befragen, ob Sie den Ausspruch von der mit Recht diffamierten Biologie überhaupt getan haben. Darf ich in diesem Zusammenhange auf meinen Brief vom 7. Juni an Sie verweisen, von dem mir allerdings zwei Fassungen in Durchschläagen vorliegen, und ich weiss nicht mehr, welcher an Sie abgegangen sein mag. Jedenfalls steht in beiden, es hatten mir mehrere Ohrenzeugen, darunter insbesondere auch Konrad Lorenz, von der Bonner Apriltagung berichtet, welche Sie leiteten, Sie hätten dort dem Sinne nach gesagt, die Biologie auf der Schule sei mit Recht diffamiert, solange sie nicht ihre Grenzen einhalte. Für die Seele bzw. den Geist des Menschen sei allein die Philosophie zuständig. Den Leib des Menschen möge man in der Biologiestunde abhandeln, von der Seele und dem Geist habe der Philosoph zu sprechen, und wo Philosophie auf der Schule nicht gelehrt werde, möge man diese Dinge in der Geographiestunde abhandeln. Nachdem Sie mir auf diesen Brief am 9.6. antworteten, Sie hätten von Geographie kein Wort gesagt - dass das Wort "diffamiert" gefallen sei, bestritten Sie nicht - habe ich mich an 6 Teilnehmer der Bonnertagung gewandt und Antworten erhalten, die in dem Eindruck übereinstimmen, dass Sie die stammesgeschichtliche Herleitung des Menschen von Tieren ablehnen, insbesonder, wie Sie ja selbst immer bestätigen, jegliche Vorstellung derart ablehnen, als ob man aus tierischem Verhalten irgend welche Schlüsse auf die Herkunft seelischer und geistiger Vermögen des Menschen zu ziehen imstande sei. Die Stammesgeschichte hat noch nie behauptet, dass | jede von beiden ist im Vergleich zur anderen "Etwas besonderes| verschiedene Arten einander gleich seien |, wohl aber deckt sie Homologien auf und erklärt sie aus gemeinsamer Herkunft, die Unterschiede aus divergierender Weiterentwicklung. Das gilt genau so gut für die Herleitung von Vögeln und rezenten Eidechsen von einer beiden gemeinsamen Stammform, wie auch vom Menschen und rezenten Affen von einer gemeinsamen Stammform. Es ist für mich kein Zweifel, dass mein Essen, Trinken, Fortpflanzung usw. tierischer Herkunft ist, ebenso mein Sehen, Hören und selbst mein vorsprachliches Denken auf den Ebenen, die ich verhaltensmässig mit Tieren gemeinsam habe. Auch kenne ich sehr viele Verständigungsweisen bei Tieren, die funktionell manches leisten, was menschliche Sprache ebenso leistet, sowie die verschiedensten Vorstufen zu dem allein vom Menschen erfüllten Vollvermögen der Wortsprache. Hat nun allein der Mensch in Worten zu sprechen begonnen, so war das nach meiner Ansicht die Vorbedingung dessen, dass er Geist erwarb. Geist spreche ich keinem Tier zu. Natürlich halte auch ich den Menschen für etwas Besonderes, insofern er allein Geist besitzt. Es ist mir durchaus klar, dass Affen weder den Faust schreiben, noch Goldberg-Variationen spielen. Doch bin ich davon überzeugt, dass der Mensch weder das eine noch das andere täte, wenn er nicht von Tieren abstammte, deren jahrmilliarden lange Stammesgeschichte dazu führte, dass er Augen hat zum Sehen und Ohren zum Hören. Der Zusammenhang, in dem Sie jenen Satz sprachen, wenn jener sich nicht für etwas Besonderes halte, Sie täten es, liess es klar sein, dass Sie eine jede Herleitung des Mesnchen, zumindest als Geisteswesen, wahrscheinlich auch als Leib, von Tieren mit Abscheu ablehnen. Die Biologie als Wissenschaft vertritt seit 100 Jahren mit steigender Einigkeit die Theorie von der Herleitbarkait des Menschen aus tierischer Wurzel und ist deshalb in der Nachkriegspresse Westdeutschlands diffamiert. * * mundtot gemacht, steht unter Redeverbot und Laien streiten alle Tage, Biologie sei das Gegenteil dessen, was sie ist. Die Öffentlichkeit wird ständig im Unklaren über die Stellung der Biologen zur Frage der Abstammungslehre gehalten. Die Biologielehrer werden eingeschüchtert und man macht ihnen mehr oder weniger offen klar, dass die Darstellung der Frage einer tierischen Herkunft des Menschen auf der Höheren Schule höchst unerwünscht sei. Nicht jeder hat den Mut, diesem Druck stand zu halten und getreu seinem Doktoreide, "unbeirrt von äusseren Rücksichten allein die Wahrheit zu suchen und zu bekennen", seinen Schülern zu sagen, was er weiss und was jeder sieht, wenn er nur die Augen auftut. Ihr mehrfach durch Ohrenzeugen bestätigtes Wort von der Diffamierung der Biologie auf der Schule hat eingeschlagen. Ihr Missverständnis beruht darauf, dass Sie die biologische Erkenntnis nicht verifizieren, die ich eingangs formulierte: Arten, | davon eine etwas Besonderes ist die heute denkbar verschieden sind |, z.B. der Mensch, das Geisteswesen, der Affe, ein ungünstiger Primat, haben Homologien, Vergleichbares, z.B. Augen und Ohren, Finger mit Nägeln, Lernvermögen und unbenanntes Denken. Diese Homologien erklären was wir aus gemeinsamer Abstammung von einem Wesen, welches weder Primat noch Mensch war. Wir unterscheiden uns darin, dass Sie mit Abscheu ablehnen, in sich die Dinge zu sehen, die Sie mit Tieren gemeinsam haben. Wir halten auch das Tier für Gottes Geschöpf und verachten es nicht. Unsere tierische Herkunft beleidigt uns nicht, ebensowenig wie unser Wissen dessen, dass wir dereinst unmündige Kinder waren. Ich bin mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Ihr ganz ergebener gez. O. Koehler; von: Koehler, Otto an: Litt; Ort: Freiburg i. Br.