Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0366
TitelBrief von: Koehler, Otto (Freiburg i. Br.) an: Litt
Enthältms; Brief 1 Blatt A4; Briefkopf: Zoologisches Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
Zeitvon1952
Zeitbis1952
BemerkungenDokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Kollege, Mein Dank für die gütige Übersendung Ihres Büchleins "Naturwissenschaft und Menschenbildung" hat sich verzögert, weil ich es erst las und anschliessend meinen Vortrag entwarf. Ich gestatte mir einen Durchschlag beizulegen. Ich war mir beim Schreibenklar, dass er so noch nicht öffentlich gehalten werden könne; ich stellte mir vor, wir würden in Stuttgart versuchen, die nun beiderseits formuliert vorliegenden Fassungen Ihres und meines Vortrages wenn möglich derart anzugleichen, dass, wenn schon eine einheitliche Kundgebung unmöglich war, zumindest der gute Wille sich dokumentiere. Gerade als ich die Niederschrift beendet hatte, traf der Durchschlag des Briefes von Professor Hörlein ein, den er am 30. Juni an Sie schrieb, und dem ich entnehme, dass es anders kommen soll. Ich habe seiner Zeit, nachdem ich Ihre Äusserung von der auf der Schule diffamierten Biologie vernahm, die Sie in diesem Wortlaut bestritten, einige Teilnehmer an Ihrer Bonner Tagung von Ende April angeschrieben und die mehrfach Bestätigung erhalten, dass sie doch in diesem Sinne gefallen sei. Sie seien ganz unverkennbar von der Vorstellung abgerückt, dass der Mensch stammesgeschichtlich von Tieren abzuleiten sei, und hatten einem Verteidiger der Lehre etwa erwidert, wenn er sich nicht für etwas Besonderes halte, Sie täten es. Ich habe daraufhin Kollegen Kühn gegenüber meinen Zweifel ausgedrückt, ob eine einigermassen einheitliche öffentliche Stellungnahme noch möglich sei, und die Entscheidung dem Ausgang der Stuttgarter Unterredung überlassen wollen. Auch Herrn Butenandt habe ich damals geschrieben, dass ich mich nicht zurückgesetzt fühlen werde, wenn er auf meinen Vortrag verzichtet. Kühn formuliere gewandter als ich und würde vermutlich notfalls bereit sein, an meine Stelle zu treten. Ich bedaure es,, dass die Entscheidung gegen Sie gefallen ist und versichere, dass die mehrfach wiederholten Sätze meines Entwurfs von nicht zu knickenden Optimismus, es müsse doch einmal eine Verständigung möglich werden, ernst gemeint sind. Dass mir ein Schweigen unmöglich war, werden Sie verstehen, es wäre völlige Selbstaufgabe gewesen. Gestatten Sie mir abschliessen die persönliche Bemerkung, dass ich mich bemühe, ein evangeliescher Christ zu sein, und bei vielen Menschen, die dasselbe tun, Zustimmung dafür finde, dass die Abstammungslehre auch, und gerade in der von mir vertretenen Form, dem Sinne nach mit unserem Glauben voll verträglich ist. Auch die Darstellung des ganzen in meinem Entwurf vorgetragenen Gedankenganges vor Freiburger katholischen Studentenverbindungen unter Anwesenheit verdienter Kollegen der katholischen Theologischen Fakultät ergab bei sehr ausgiebiger Aussprache dieselbe volle Verträglichkeit. Endlich darf ich den Vortrag erwähnen, den vor etwa einem Monat mein Fachgenosse aus Freiburg in der Schweiz, Professor Kählin unserer katholischen Studentengruppe hier vor etwa 1500 durchweg katholischen Hörern unter stärkster Beteiligung der Priesterschaft hielt. Zuvor hatte er mich besucht und erklärt, er käme von Rom und habe für seine Ausführungen das volle placet der letztentscheidenden Stellen. Er stimmte unter Vorlegung eines gewaltigen anthropologisch-palaeontologischen Materials der naturwissenschaftlichen Herleitung des Menschen vom Affen voll zu und sagt, angesichts der Fülle vorliegender Zwischenformen, die er sämtlich in Lichtbildern vorführte, etwa eine Stunde lang, sei die Hoffnung auf Nichtherleitbarkeit des Menschen von Tieren endgiltig zu begraben. Meine These, dass auch der Geist in tierischen Vermögen wurzelt und erst durch die Sprache, deren Initien wiederum bei Tieren vorstufenhaft nachweisbar sind, zur vollen Auswirkung gelangt, wodurch allein dem Menschen Selbstverantwortlichkeit, Religion, Kunst, primär als Diemerin derselben, und endlich Wissenschaft möglich wird, stimmte er im Privatgespräch zu, und seine öffentliche Formulierungen über diesen Punkt, denen ich in der mir nicht so geläufigen katholischen Einkleidung nicht unmittelbar folgen konnte, schienen mir sinngemäss ebenfalls auf dasselbe hinauszulaufen. Auch nach seinem Vortrage fand ein besonders freundlicher Briefwechsel statt, in dem wir uns als Vertreter des gleichen Anliegens fanden. Ich bin mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Ihr ganz ergebener gez. O. Koehler; von: Koehler, Otto an: Litt; Ort: Freiburg i. Br.