Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Verehrter Herr Kollege Litt!
Haben Sie sehr herzlichen Dank für Ihre große Freundlichkeit, mich sogleich aufmerksam zu machen auf eine Angelegenheit, die in der Tat Beachtung verdient. Ich höre zum ersten Mal von dieser Photokopie, und kann über ihre Echtheit nicht urteilen. Es ist aber tatsache, daß ich damals zeitweise bemüht gewesen bin, Herrn K. klar zu machen, daß seine Verbindung mit Herrn D. - beide zusammen verfolgten damals in extremster Weise die Tendenz des Kampfes gegen "Jüdische Physik" - gerade von seinen eigenen Voraussetzungen aus widerspruchsvoll und somit für ihn vielleicht nicht ungefährlich war. Ich muß auch feststellen, daß meine Bemühung, einige der gefährlichsten Vertreter dieser Gruppe zurück zu schlagen, bewußt und absichtlich den Jargon des "Stürmer" nachzuahmen versuchte, weil das die einzige diesen Geisteskranken verständlich Sprache war.
Heute versteht schwerlich noch jemand die damaligen Verhältnisse, in die sich zurück zu versetzen allzu viel Phantasie erfordert. Aber eine gewisse Eindämmung der Einflüsse Lenards, der damals eine Art Lyssenko der Physik in Deutschland zu werden wünschte, ist tatsächlich nur dadurch erreicht worden, daß einer der berühmtesten Physiker Deutschlands Gelegenheit fand, Himmler persönlich auf die jüdische Abstammung Lenards hinzuweisen - auch hier wurde also (mit Erfolg) die Methode angewandt, den Vertretern des Regimes nachzuweisen, daß die Vorkämpfer einer "Deutschen Physik" mit dem von ihnen prpagierten Antisemitismus sich selber trafen.
Dingler war damals neben Lenard der eigentliche Inspirator der in der Reichsstudentenführung gesammelten Gruppe ultraradikaler SS-Leute, die im "Schwarzen Korps" und in der vom "Ahnenerbe" unterhaltenen "Zeitschr. für die gesamte Naturforschung" verkündeten, nicht nur die Relativitätstheorie, sondern auch die Quantentheorie sowie die theoretische Physik überhaupt sei ein Erzeugnis jüdischen Geistes und müsse ausgerottet werden. Ich selber war bevorzugtes Abgriffsziel (neben Heisenberg, Planck, Weyl usw.) als "Einstein-Anhänger". Es war mein Bestreben, Herrn K. klar zu machen (soweit das im Rahmen seines Gehirns möglich war), daß mein Eintreten für die Relativitätstheorie (ich habe das einzige im Dritten Reich verfaßte populäre Buch geschrieben, das für sie eintrat) völlig unabhängig war von der Person Einsteins, während D., der damals die Studentenschaft zu Aktionen gegen die "jüdische Physik" hetzte, sich vorher unter anderen Verhältnissen gerade durch eine dem ganz widersprechende Überschwänglichkeit persönlicher Lobsprüche hervor zu tun versucht hatt.
Von 33 bis in den Krieg hinein mußte ich einen Großteil meiner Zeit und Arbeitskraft dafür verwenden, die theoretische Physik in Deutschland zu verteidigen gegen die Versuche Lenards und seiner jungen SS_Freunde, sie ähnlich liquidieren, wie das später im Sowjetreich gegenüber der experimentellen Biologie und Vererbungslehre geschehen ist, durch Lyssenko.
Ich glaube heute noch, daß die dabei angewandten Mittel die einzig möglichen waren und sich Punkt für Punkt verteidigen lassen. Aber das darzulegen würde so umfangreiche Erläuterungen erfordern - denn was damals jedermann gläufig war, ist uns heute längst aus dem Gedächtnis verschwunden - daß der Versuch einer Erklärung vermutlich rein praktisch aussichtslos wäre. Wahrscheinlich werde ich also den heute mit dem Vertrieb von Photokopien beschäftigten Herren ihr Vergnügen gönnen müssen, ohne mich darum zu bekümmern. Ich bin aber offen für jeden freundlichen Rat, den Sie mir etwa noch geben könnten.
Die Ausführungen dieses Briefes stehen mit Ausnahme von Absatz 2 (Seite !) ganz zu Ihrer Verfügung, für jeden Gebrauch, den Sie davon möglicherweise machen möchten.
Mit der Wiederholung meines aufrichtigen Dankes bin ich
stets Ihr ergebener
gez. P. Jordan; von: Jordan, Pascual an: Litt; Ort: Hamburg |