Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0361
TitelBrief von: Jónasson, Matthias (Reykjavik / Island) an: Litt
Enthälths; Brief 2 Blatt 19,8 x 24,8 cm
Zeitvon1950
Zeitbis1950
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter lieber Herr Professor! Das Gefühl der Vereinsamung überkommt mich, wenn ich hier sitzen muss und nicht mehr in der Schar Ihrer Schüler Ihnen zu Ihrem 70. Geburtstag Glück wünschen darf. Aus weiter Ferne kommt mein Gruss, aber innig und aufrichtig ist er. Ihnen verdanke ich mehr als irgendeinem anderen meiner Lehrer. Sie gaben mir nicht Kenntnisse allein; Ihre Lehre weckte mich zum ernsthaften Denken, an ihr erwuchs und erstarkte mein geistiges Verlangen. Als ich einst schwur, für Recht und Freiheit der Wissenschaft einzutreten, galt dieser Eid vor allem Ihnen und dem Vorbild, dass Ihr Leben und Wirken im Dienste der Wahrheit und Wissenschaft uns gab. Gelegenheit, seine Treue zu diesem Schwur zu beweisen, wird sich jedem von uns, Ihren Schülern, ohne Zweifel bieten. Sollten wir die Probe bestehen, so wird es vor allem das Mahnen Ihres Wirkens sein, das uns dazu befähigt. Seitdem ich Sie nie mehr zu einer Aussprache erreiche, denke ich an so manche Stunde, die ich mit Ihnen sprechen durfte. Ich kam so oft zu Ihnen mit meinen Skrupeln! Diese Anfechtungen schienen mir damals so wichtig, dass sie mir ein Anrecht darauf gäben, Sie damit zu belasten und damit von Ihnen belehrt und bestärkt zu werden. Heute empfinde ich diesen Anspruch als ungehörig, aber für Ihre Geduld und Nachsicht bin ich Ihnen unendlich dankbar. Diese persönliche geistige Pflege war für uns, Ihre Schüler, von unschätzbarem Wert. Ich bedurfte Ihrer wohl mehr als die meisten. Auch heute noch befallen mich Skrupel und Zweifel. Nun bin ich vielleicht etwas härter und somit standhafter geworden. Ich weiss jetzt, dass heute ein Wissenschaftler von Zweifeln geplagt sein muss, es sei denn, er verstünde die Fragwürdigkeit seiner Zeit ebensowenig wie die Brüchstückhaftigkeit seines Bemühens. Sie sagten mir oft, lieber Herr Professor, Sie hätten gleich meinen wiegenden Seemannsgang bemerkt. Nicht nur äusserlich haftete mir des Schwerarbeiters Habitus an, meine geringen Kenntnisse steckten voll von Irrtümern, mein Denken war in Dogmen und Vorurteile gefesselt. Mein verehrter Lehrer Driesch, der übrigens keinen starken Einfluss auf mich ausübte, zeigte mir doch mit seiner verkünstelten Methodeik, wie man sich von seinen Irrtümern lossagen, die Fesseln seines Denkens zerbrechen muss. Das erste Jahr meines Studiums brachte mir keinen anderen Gewinn ein. Danach aber begann es mir langsam aufzudämmern, dass Ihre Lehre etwas Neues und Unerhörtes war, dass sie mir die Möglichkeit bot, nicht nur niederzureissen, sondern vor allem aufzubauen. ich erinnere noch genau die Zeit, in der mich Ihre Lehre und Ihre Persönlichkeit immer stärker fesselten. Bei Ihnen fand ich, im besten Sinn des Wortes, die Bindung, die frei lässt. Was mich für Ihre Lehre begeisterte, war ihr grosszüge, weiträumige Bau; sie begriff und umspannte alle Wissensgebiete in ihrem Kern, sie liess Raum für Fragen und Forschen, sowohl in der Materia wie in der Methodik. In diesem Sinne wurde ich Ihr Schüler, in diesem Sinne hole ich mir immer wieder bei Ihnen Rat und Mut und in diesem Sinne möchte ich mein eigenes Wirken gestalten. Diese Zeilen sollen schliessen mit einem herzlichen Dank für all das, was Sie mir gegeben haben, und mit dem innigen Wünschen, dass Sie noch lange bei guter Gesundheit wirken mögen. Noch nie hatte die Welt Männer wie Sie nötiger. Mit vielen herzlichen Grüssen, auch an Ihre liebe Frau Gemahlin. In tiefer Verbundenheit Ihr sehr ergebener Matthias Jónasson; von: Jónasson, Matthias an: Litt; Ort: Reykjavik / Island