Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr von Holst!
Ich habe Ihren mir freundlichst zugesandten Vortrag gleich verschlungen. Denn er bewegt sich an einer Stelle, um die auch mein Denken unaufhörlich kreist. Es ist zu schade, dass wir die Sache nicht mündlich durchdiskutieren können.
Zunächst: alles, was Sie über die wechselseitige Anregung von biologischem und technischem Denken sagen, ist höchst lehrreich und die Beispiele sind auch für den Laien überzeugend. Die Differenz zwischne Ihnen und mir beginnt bei der Interpretation der aufgezeigten Entsprechungen. Sie gehen den Weg von den technischen "Funktionssystemen" zu den organischen. Ich behaupte, dass Sie das, was Sie von jenen her "erklären" wollen, im Ganzen ihrer Darlegungen als ein "Funktionssystem" voraussetzen, durch dessen anderartige Struktur diese Ihre "Erklärung" überhaupt erst möglich wird. Die Aufgabe besteht darin, sich von diesen Vorausgesetzten Rechenschaft zu geben, damit man nicht in seiner "Erklärung" Behauptungen aufstellt oder zumindest Vorstellungen hineinspielen lässt, die zu dem Vorausgesetzten in Widerspruch stehen.
Der Techniker steht dem von ihm zu konstruierenden oder zu dirihierenden Funktionssystem als einem streng von ihm geschiedenen und verschiedenen Objekt "gegenüber". Sein theoretisches wie sein praktisches Verhalten ist ein Schaffen und Durchhalten dieser Trennung. Es ist das von ihm zu handhabende "Instrument". Dabei ist er als Subjekt keineswegs bloss "Geist". Wäre er nicht geistig - leibliche Einheit, so könnte er weder denken (Gehirngeschehen!) noch sprechen (Ohne Sprechen kein Denken!) noch mit dem Instrument hantieren. Das Ausser-einander der leiblich-seelischen Einheit des Subjekts und des Stücks Material, mit dem es tätig umgeht, ist Voraussetzung des ganzen Vorgangs.
Von dieser Vorstellung gehen Sie aus, in dem Sie das biologische Funktionssystem überhaupt und zumal dasjenige des Menschen (auch der Techniker ist ein solches System - auch der Forscher, der biologische Systeme analysiert!) Hirn und Hand sind für Sie "Werkzeuge". Die Warmblüter setzen pysikalische und chemische Mittel ins Spiel. Der Wille "kommandiert" den Regelmechanismus. Was ist denn das, was in diesen Vorstellungen an die Stelle des Technikers tritt? Es ist das "Ich", der "Geist", d.h. ein nunmehr durchaus unleiblich gedachtes Subjekt. Objekt ist jetzt die gesmate Leiblichkeit des Menschen, die sich " von oben her" muss kommandieren lassen. Im Falle des Techniker tritt demnach das instrumentale Verhältnis doppelt auf. Sein unleibliches kommandiert das Funktionssystem seines Leibes, und dieses operiert mit dem Funktionssystem des Apparats. Hintereinander geschaltet sind A) der Apparat b) der Leib c) der Geist.
Dass das nicht stimmen kann, lehrt schon folgende Überlegung. Ist denn das "von oben her" ergehende "Willkürkommando" ein "rein" geistiges Geschen, also ohne Korrelat im Gehirn? Ist nicht jeder Willensakt genau so gehirngebunden wie jeder beliebige andere seelische Vorgang? Dass es so und nicht anders ist, beweisen die Ausfallserscheinungen bei Gehirnverletzten. Bei ihnen ist nicht ein "Instrument" beschädigt, sondern der ganze Mensch in bestimmter Hinsicht funktionsunfähig geworden. Dass der Wille im Stande ist, den Leib zu bewegen, beruht darauf, dass er selbst bereits Leib ist, nicht den Leib als zu kommandierendes "Instrument" ausser sich hat. Und dann auch die Hand, mit der ich den Hammer ergreifen und sachgemäss verwende, ist nicht ein "Instrument", mit dessen Hilfe ich ein weiteres Instrument, genannt Hammer, an mich heranhole: ich lebe in der Hand, ich bin die Hand.
Alles dies würde noch evidenter werdn, wenn ich, statt auf den Willen zu leiblicher Bewegung und die Ausführung dieser Bewegung zu exemplifizieren, auf mein Lieblingsbeispiel, das Sprechgeschehen, hinblicken wollte. In ihm wird die "instrumentale" Auslegung erst recht zu schanden.
Es geht also nicht an, dasjenige, was in dem Funktionssystem "Mensch" vor sich geht, indem es jene Leistungen vollführt, die wir "Deneken", "Wollen", "Handeln" nennen, nach Analogie mit dem Verhalten des Technikers zu dem von ihm Konstruierten und dirigierten "Regelkreis" zu erklären. Durch diese Analogisierung wird das Lebensganze zerstört, das in der ihm eigentümlichen Weise funktionieren muss, damit es überhaupt das Subjekt "Techniker" und das Subjekt "Biologischer Forscher" geben können. Dies war es, was ich mit dem Satze meinte, dass der Forscher sich nicht in seinen Aussagen zu dem Widerspruch setzen dürfe, was er, in dem er an Werk geht, bereits voraussetzt: nämlich zu den Leistungsmöglichkeiten seiner selbst, die von der mit nichtsvergleichbaren Eigenheit des Funktionssystems Leib - Seele unabtrennbar sind. Alle Regelkreise, die der Techniker in der theoretisch-praktischen Auseinandersetzung mit dem Objekt "Natur" konstruiert, sind das Produkt eines Subjekt - Verhaltens, das seinerseits nicht wieder als Kommando über Regelkreis begriffen werden kann. Damit ist der heuristische Wert solcher Parallelen durchaus nicht bestritten. Er wird so wenig in Frage gestellt wie das Recht der physikalisch-chemischen Erforschung des organ. Lebens. Gefordert wird nur, das alle Untersuchungen <...> method. Charakters, von dem Bewußtsein der Grenzen ihrer Geltung (ihres "Erklärungs-Wertes) begleitet seien.
Dass Sie noch immer mit Ihrem Bein Plage erdulden, höre ich mit herzlichem Bedauern. Auch ich habe ein volles Jahr an meinem Arm - es war der linke - laboriert. Aber jetzt ist er wieder so zeimlich verfügbar.
Bitte fühlen Sie sich nicht zu einer Antwort verpflichtet! Ich bin so ausführlich geworden, weil die Problemstellung mir so wichtig ist.
Mit den besten Grüssen auch an Ihre liebe Frau
Ihr Th. Litt; von: Litt an: Holst, Erich von; Ort: Bonn |