Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr veehrter lieber Herr Professor!
Noch als Student war ich überzeugt, daß die Menschen aus der Geschichte lernen. Das kann ich nicht mehr aufrechterhalten.
Die meisten Menschen brechen sich vielmehr beliebige Stücke aus geschichtlichen Ereignissen heraus, um damit ihre vorgefaßten Meinungen zu untermauern. Besonders verhängnisvoll wird dieser Vorgang, wenn es nicht Politiker sind, die so handeln, sondern Männer, die eine geistige Verantwortung tragen. Bei Erziehern muß ich sogar an das harte Wort Jesu denken: "Es ist besser, daß ihnen ein Mühlstein um den Hals gelegt werde und sie ins Wasser versenkt würden, wo es am tiefsten ist, als daß sie einen dieser Kleinen ärgerten".
Ein großer Teil der führenden Köpfe in der Gewerkschaft "Erziehung und Wissenschaft" (mir scheint diese Konstruktion schon im Ansatz bedenklich) existiert aus einem Anti-Vorurteil. Das macht sie blind für Realitäten und ist in gewissen Situationen gefährlich wie Tollwut. Die tragende Generation der Lehrerschaft zwischen fünfunddreißig und fünfzig läuft mit gebrochenem Rückgrat herum und resigniert. Das ist nach den Ereignissen zwischen 1933 und 1945 verständlich. Aber dadurch wird die aufgeschlossene, nach vorn drängende Jugend jener Gruppe, die ihr eigenes politisches Süppchen am allgemeinen Feuer kocht, ausgeliefert.
Ich griff jetzt einen Anlaß heraus, um einen Versuch durchzuführen. Es handelt sich um die Stellungnahme der "Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung" zur Gründung des Komitees "Rettet die Freiheit". Nun warte ich die Reaktion ab, ehe ich weitere Schritte unternehme. Ich bin aber nicht gewillt, diese Angelegenheit
auf sich beruhen zu lassen. Weder Ihr wissenschaftlicher Ruf noch Ihr Ansehen können in der denkenden und arbeitenden Lehrerschaft durch solche Schreiberlinge gefährdet werden, angetastet ist vielmehr die Würde des Erzieherstandes, in dessen Namen sich diese Herren zu sprechen anmaßen. Ich bitte Sie deshalb, das beiliegende Schreiben an die Schriftleitung der ADLZ in diesem Sinne zu verstehen.
Mit herzlichem Gruß, auch von meiner Frau
Ihr
gez. Hirsch
Anlage
Max Hirsch Villigst, den 31.3.1959
An die Schriftleitung der Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung
Frankfurt / Main
In der Fülle der am Schuljahresabschluss anfallenden Arbeit kam ich erst heuten dazu, die Nr. 6 des 11. Jahrgangs vom 15.3. zu lesen. Auf Seite 84 wird dort Stellung genommen zur Vereinigung "Rettet die Freiheit". Es fällt mir schwer, Ihnen in dieser Angelegenheit zu schreiben. Ich tue es auch nicht, um eine Diskussion einzuleiten. Ich will Ihnen nur Kenntnis geben davon, dass es eine Reihe von Kollegen gibt - Mitglieder des GEW wie ich - die Töne, wie sie hier angeschlagen werden, peinlich, bedenklich und für die Aufgaben unserer Vereinigung schädlich finden. Es ist leider so, dass Sie wenig Resonanz hören von dieser Gruppe, die ihre Kraft in der Schularbeit verschwendet und sich nicht in die Spalten der Zeitshriften drängt.
Wäre das, was unter dem Titel "Ein komischer Verein" steht, die private Meinung eines Kollegen, so könnte man es in unserer Zeitschrift zu Diskussion stellen. Aber in der Spalte "Wir nehmen Stellung - Kommentare der ADLZ zum Zeitgeschehen" muss es als die Meinung des gesamten Organs verstanden werden, zumal es nur mit einer Abkürzung gezeichnet ist. Leider lässt sich aus der Unterschrift "Me" nicht erkennen, ob und inwieweit der Verfasser ein so hervorragender Sachkenner des Kommunismus ist, dass er sich dieses souveräne Urteil erlauben kann, über einen Mann wie Theodor Litt zu schreiben: "Von dem, was zu bekämpfen er sich anschickt, versteht er gerade so viel - nämlich recht wenig - wie seine Streitgenossen, die zu einer einzig wirksamen "immanenten Kritik" des Kommunismus nicht im Stande, dagegen allzeit bereit und in der Lage sind, den Leuten die dümmsten Klischees derart um die Ohren zu schlagen, dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Und das soll es denn auch." -
Ich fühle mich beim Lesen dieser Zeilen verzweifelt erinnert an das "Presseecho", das 1934 erfolgte, nachdem Theodor Litt im Auditorium maximum der Universität Leipzig Abrechnung hielt mit dem neudeutschen Kulturdiktator Göbbels und seinen katzbuckelnden Nachäffern. Auch damals liess man Theodor Litt grossmütig seine "bedeutenden Meriten in diesem und jenem Feld", nur von Politik und dem neuen "nationalen Aufschwung" habe er keine Ahnung und solle lieber über solche Dinge schweigen, von denen er nichts verstehe.
Nach dem Zusammenbruch 1945 kehrte Theodor Litt wieder auf seinen Leipziger Lehrstuhl zurück. Er hatte anschliessend zwei Jahre ausgiebig Gelegenheit, Ideologie und Praxis des Kommunismus zu studieren, bis er zum zweiten Mal seine Existenz aufs Spiel setzte und die Konsequenzen aus seiner Erkenntnis zog. Im letzten Jahre durfte ich in einem persönlichen Gespräch die umfassenden Kenntnisse Theodor Litts über die Kulturpolitik der östlichen Regime bewundern. Ich kam gerade von Berlin, wo ich 10 Tage im Osteuropäischen Institut und in Schöneberg, an der Sammelstelle für die Schulpolitik in der DDR, entsprechende Literatur einsah, um mich über Fragen der Sowjetpädagogik auf dem Laufenden zu halten. Zwar kann ich mich nicht als Experte sowjetischer Ideologie bezeichnen, ich habe aber während meiner achtjährigen sowjetischen Gefangenschaft jede Gelegenheit benutzt, Literatur und Praxis des "Leninismus" kennenzulernen, zumal ich mich schon als Student ausgiebig mit Fragen des Marxismus befasste. Ausserdem konnte ich in - und ausserhalb der verschiedenen Lager von Moskau bis Karaganda viele Gespräche mit sowjetischen Interlektuellen führen, so dass ich mir ein Urteil erlauben darf. Sie können aber getrost auf diese meine persönliche Meinung verzichten. Jeder Leser kann im Buch von Theodor Litt "Wissenschaft und Menschenbildung im Lichte des West - Ost - Gegesatzes", Quelle & Meyer - Heidelberg, selbst nachprüfen, ob Theodor Litt wirklich so wenig von dem versteht, "was zu bekämpfen er sich anschickt".
Das Kommitee "Rettet die Freiheit" ist mir nur sehr oberflächlich aus Zeitungsmeldungen bekannt. Vielleicht stehen Sie mit Recht kritisch zu diesem Versuch. Theodor Litt wäre der Letzte, der sich einer solchen Kritik beleidigt entziehen würde. Aber der Jargon des Herrn "Me" erniedrigt unseren Lehrerstand; denn hier wird ein Mann heruntergezogen, der sich durch Jahrzehnte beispiellos für unseren Stand einsetzte. Oder sollte es Ihnen unbekannt sein, dass Theodor Litt in Leipzig die vollakademische Lehrerbildung durchzusetzen verhalf? Herr "Me" kann sie schwerlich mit Erfolg absolviert haben, sonst wäre sein Diskussionston akademischer.; von: Hirsch, Max an: Litt; Ort: Villigst b. Schwerte / Ruhr |