Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr geehrter Herr Doktor!
Sie haben mit Recht vermutet, daß das von mir Gemeinte und Gesagte in entstellter Form weitergewandtert ist. Dei Richtigstellung fällt nicht schwer.
Die Vorträge, auf die die von Ihnen erwähnten Gerüchte zurückgehen, bezogen sich überhaupt nicht auf das Sonderproblem des humanistischen Gymnasiums, sondern auf die ganz allgeimeine Frage, ob und wie weit das Bildungsstreben unserer Tage sich an den Begriff "Humanität" halten könne, wie er von unserem klassischen Zeitalter her auf uns gekommen ist. Diese Frage muß deshalb aufgeworfen werden, weil sich an nicht wenigen Stellen, sowohl bei Pädagogen als auch bei Literaten, die Neigung zeigt, diesen Begriff in der Fassung zu übernehmen, die er bei manchen Enthusiasten der Humanitätsbewegung erhalten hat. Es ist die Fassung, der zufolge das menschliche Sein und Tun sich auf zwei Sphären verteilt, von denen die eine, die "äußere", den in ihr Tätigen notwendig zum Knecht banaler Nützlichkeit und Zweckhaftigkeit erniedrigt, während der anderen, der "inneren", die zweckentbundene Beschäftigung mit den selbstwertigen Gütern des Geistes und damit die wahre "Freiheit" vorbehalten bleibt. Ich glaube, daß wir uns dieser dualistischen Selbstinterpredation schon deshalb entledigen müssen, weil sie den Menschen sich selbst nur in einem Zerrbilde sehen lehrt. Ich glaube überdies, daß sie am wenigsten einem Zeitalter ansteht, dessen durch keine Gegenwehr zu ändernder gesellschaftlicher Aufbau ungezählte Millionen in der "äußeren" Welt ihren Lebensinhalt zu suchen nötigt und den Rückzug in das Kastalien des reinen Geistes allenfalls einer verschwindenden Minderheit von sozial und ökonomisch Privilegierten offen hält. Es ist beunruhigend, zu sehen, wie weit unsere Bildungsgedanken hinter der Realität, der sie dienen wollen, zurückbleiben.
Leider muß ich es bei diesen Andeutungen, von denen Sie nach Belieben Gebrauch machen wollen, bewenden lassen. Ich darf wohl hinzufügen, daß ich einen Teil der Überlegungen, die mir diese Modifikation des Humanitätsbegriffs geboten erscheinen lassen, in meiner Schrift "Naturwissenschaft und Menschenbildung" entwickelt habe.
Mit bestem Gruß
Ihr sehr ergebener; von: Litt an: Korn, K.; Ort: Bonn ? |