| Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr geehrter Herr Kollege!
Ich danke Ihnen für die Zusendung des Berichtes über die Eisenacher Tagung. Es würde mir aber unehrlich erscheinen, wollte ich von den Fragen und Bedenken schweigen, die mir bei seiner Lektüre aufgestiegen sind. Aus dem Westen sind zweifellos nur Menschen gekommen, die durch ihre eigene freie Überzeugung dorthin geführt worden sind. Was aber soll man dazu sagen, daß als Wortführer der anderen Seite ein Mann aufgetreten ist, von dem jederman weiß, daß er nur Anwalt des dort herrschenden politischen Systems ist, und der das auch in seiner Ansprache deutlich zu erkennen gegeben hat? Bei allen schönen Reden über "Humanität", "Persönlichkeit" u. dergl. hat er doch das deutsche Volk aufgefordert, seine Abneigung gegen das "gesellschaftliche System" der Sowjetunion fahren zu lassen. Nun, dieses System ist nicht abzutrennen von der Ideologie, zu der es sich vernehmlich bekennt. Diese Ideologie aber ist, und zwar in der Praxis noch mehr als in der Theorie, die systematische Unterdrückung alles dessen, was mit schönen Worten wie "Humanität", "Persönlichkeit" bezeichnet wird; sie ist die Verneinung dessen, was der Erzieher, sofern er diesen Namen verdient, als Menschenwürde zu ehren und zu pflegen verpflichtet ist. Oder sollte es Ihnen unbekannt sein, unter welchem Maß von Gesinnungsdruck und Gewissensknechtung die Erzieherschaft der Ostzone zu leiden hat? Tagungen wie die in Eisenach veranstaltete würden dann und nur dann einen Sinn haben, wenn sie diesen gequälten Seelen die Möglichkeit gäben, sich rückhaltlos auszusprechen. Lassen sie statt dessen, wie es nicht anders sein kann, den anerkannten Wortführer jenes Systems das Wort, so rufen sie nur den trügerischen Schein einer "Verständigung" hervor und verwischen das Bild dessen, was tatsächlich in der Ostzone vor sich geht.
Mit den besten Empfehlungen
Ihr sehr ergebener; von: Litt an: Helling, Fritz; Ort: Bonn |
