Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0349
TitelBrief von: Litt (Bonn) an: Heisenberg, Werner
Enthältms / hs; Brief 1 Blatt A4 - Durchschlag; Briefkopf: Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bonn
Zeitvon1956
Zeitbis1956
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr Heisenberg! Das ich Sie vielgeplagten Mann wiederum heimsuch, wollen Sie bitte daraus erklären, daß mich unsere gemeinsame Problematik deshalb so stark beschäftigt, weil ich der Überzeugung bin, daß sich an dieser Stelle vielmehr entscheidet als eine bloß wissenschaftstheoretische Angelegenheit. ich bin gewiß, daß das Verhältnis Mensch-Welt von diesem Punkte aus interpretiert werden muß - heute mehr denn je, da die mathematische Naturwissenschaft in das Zentrum nicht nur der wissenschaftlichen Bewegung sondern des menschheitlichen Schicksals gerückt ist. ich kann nur lächeln über diejenigen unter meinen Spezialkollegen, denen die Wissenschaft "existentiel irrelevant" erscheint. Übrigens sind mir Ihre Gedanken auch deshalb so wichtig, weil ich wiederholt habe feststellen können, daß sie auf dem Wege über Rowohlt stark in die Breite gewirkt haben. zur Sache selbst: ich bin der Überzeugung, daß der Descartessche Substanzendualismus, unbeschadet seiner problemgeschichtlichen Bedeutung, eine heillose Verfälschung des in Frage kommenden Verhältnisses bedeutet. Gerade die mathematische Naturwissenschaft kann von dieser Basis aus nie und nimmer richtig verstanden werden. Ich habe das in meinen Büchern "Denken und Sein" und "Mensch und Welt" zu zeigen versucht. Daß das Verhältnis des "Gegenüber sich in der modernen Physik verwischt, ändert nichts daran, daß jede Naturwissenschaft nur dann Naturwissenschaft ist, wenn sie sich nicht in ihrem eigenen Kreise herumdreht, sondern ein sich Bietendes oder Gebendes, ein "Anderes" erforscht. Daß die Relation zwischen Subjekt und Objekt sich kompliziert, ändert nichts an diesem Grundsachverhalt, sondern bringt ihn nur auf eine schwierigere, deshalb aber der Durchleuchtung bedürftige Gestalt. Zur Kantischen Raum- und Zeitlehre: auch sie kann ich nicht unbeschadet hinnehmen. Spezifisch menschlich ist das Raum-Zeit-Erlebnis, wie es z.B. von Cassirer analysiert worden ist. Aber dieses Erlebnis unterscheidet sich dadurch von jedem tierischen Raum-Zeit-Erlebnis, daß es zum objektivierten, mathematischen Raum-Zeit-Schema weiter treibt, dadurch aber die Zugehörigkeit zu species Mensch überschreitet. Das Mehr-als-Menschliche beginnt nicht erst mit den Kategorien ("Verstand"). zuzugeben ist, daß das Wort "Gegenüber" ein Bild ist, daß die Descartessche vorauszusetzen scheint. Es ist ja letzlich ein Raumbild. Es wird eben nicht mehr besagen, als dass das Subjekt sich mit einem "Ander" einlassen muss, um Natur wissenschaftlich treiben zu können.; von: Litt an: Heisenberg, Werner; Ort: Bonn