Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr Litt!
Entschuldigen Sie, wenn ich erst die Weihnachtsferien zur Antwort auf Ihren Brief ausnütze. Ich finde die Formulierungen Ihres Briefes im durchaus vertretbar, kann aber doch an einigen Stellen ein gewisses Unbehagen nicht unterdrücken.
Sie schreiben z. B., dass der Descartes'sche Dualismus schon der Auslegung der klassischen Physik zu Grunde gelegt werden dürfen. Was bedeutet dieses "darf" hier? Wenn man von der Descarteischen Position her denkt, liegt es doch sehr nahe, das Objekt der Physik mit der zu identifizeiren, die zwar infolge der Sinnestäuschungen u.s.w. niemals rein dargestellt werden kann, von der die Physik aber im Prinzip allein handelt. Hält mandie Descartes'sche Zweiteilung von vornherein für falsch, so kann man natürlich auch die klassische Physik nicht mehr < so> deuten.
Dann schreiben Sie: "solange Physik Physik ist, handelt sie von dem 'Gegenüber' der zu erforschenden Natur:" Das trifft sicher auch in der Mikrophysik noch zu. Aber das Unglück der Mikrophysik ist ja gerade, dass der Begriff "Gegenüber" nur noch halb auf die Wirklichkeit passt. Eben deshalb glaube ich ja auch, dass die Physik nicht mehr nur Physik ist ("das naturwissenschaftliche Weltbild hört auf, ein naturwissenschaftliches zu sein").
Sehr einverstanden bin ich mit der Formulierung Ihres dritten Absatzes, dass der Physiker die Physik nicht treibt als Glied der species Mensch, sondern als denkendes Subjekt, d.h. als Platzhalter des Denkens überhaupt. Ich würde hier hinzufügen: desjenigen Denkens, das die a priori - Formen der Kant'schen Philosophie benützt und insofern ein ausgesprochen menschliches Denken (z.B. mit Raum - u. Zeitvorstellung) genannt werden muss.
Grundsätzlich habe ich bei Ihren Formulierungen das Bedenken, dass schon der Begriff des "Gegenüber" - obwohl er sicher einen Teil unserer Situation richtig erfasst - die Descartes'sche Zweiteilung voraussetzt oder zum mindesten suggeriert. Es wird schwer sein, das Objektive, auf das alle Naturwissenschaft zielt, wesentlich anders zu bezeichnen, aber man sollte sich das Problematische dieses Begriffs stets vor Augen halten.
Hoffentlich gibt uns das neue Jahr Gelegenheit, diese Diskussion mündlich fortzusetzen.
Mit vielen herzlichen Wünschen
Ihr Werner Heisenberg; von: Heisenberg, Werner an: Litt; Ort: Göttingen |