Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Prof. Litt:
Herzlichen Dank für Ihr Schreiben, dass mir meine Frau nach Kalifornien nachschickte, wo ich den ganzen Sommer über sein werde. Leider muss ich mich in meiner Antwort wesentlich kürzer fassen, als ich wünsche, da ich mein Auge bei der Arbeit völlig überanstrengt habe, so dass der Arzt radikale Schonung verordnet hat. Und ich habe hier niemanden, dem ich meine Korrespondenz diktieren kann.
Zum Thema: Sie schneiden, da allerdings eine Prinzipienfrage an. Der Grund, dass wir uns nicht einigen können, scheint mir darin zu liegen, dass Sie zweiwertig, auf dem Boden der klassischen Logik, ich aber auf mehrwertiger Basis argumentiere.
Sie gebrauchen z.B. ganz dualistisch den Begriff des "Denkfremden". Ich würde mit Hegel darauf erwidern, dass es im transzendentalen Idealismus so etwas nicht gibt. Das Objekt, das Ding, ist genau so Subjekt wie ich. Es ist von meiner Subjektivität nur durch eine grössere Anzahl von "Vermittlungen" distanziert als etwa das Neuronen und Synapsensystem meines Gehirns, das ja in Ihrem Sinn auch schon denkfremd ist und in die reine Subjektivität des Denkens etwas Anderes mischt.
Aber im Grunde genommen scheint mir der ganze Streit um die Relevanz der "Technik" für das Denken müssig. Worauf es mir allein anzukommen scheint, ist, ob es mir mit meiner Methode gelungen ist, Hegelsche Sätze zu interpretien, die für den bisherigen Stand der Hegelforschung uninterpretierbar gewesen sind. Ich habe einige solcher Beispiele im ersten Band gegeben und im zweiten Band wird dann eine "rechnerisch" genau beherrschbare Theorie der Hegelschen Vermittlung folgen. Die rechnerisch-technische Seite daran ist in meinen Augen ein rein "personales" Element. Um in deutscher Fraktur zu reden: ich, Gotthard Günther, bin zu dumm und ungeschickt, um die unglaublich komplizierte Struktur des Hegelschen Vermittlungssystems im "reinen Denken" zu überblicken. Ich brauche dazu Papier und Bleistift und die Formel eines mehrwertigen Kalküls. Aber warum hat bisher niemand von den Kollegen mir das Kunststück vorgemacht ohne diese Hilfsmittel eine befriedigende Theorie der Vermittlung zu geben. Wo ist z.B. eine Darstellung der intrikaten Uebergänge derjenigen Vermittlungen, die auf Reflexionsüberschuss beruhen, in diejenigen Formen, die aus Reflexionsmangel entstehen?
Mit besten Dank für Ihren Brief
gez. Gotthard Günther; von: Günther, Gotthard an: Litt; Ort: Hollywood / USA |