Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Kollege Litt,
für Ihre Zeilen vom 18. danke ich Ihnen. Ich bin selbstverständlich überzeugt, daß das Bewußtsein im Laufe der biologischen Entwicklung der Species Mensch entstanden ist; wir können nicht wissen, wie, und eben deshalb lag mir so sehr am Aufweis durchgehender Prozessfiguren. Ich bin ferner der Meinung, daß gerade diese höheren Funktionen sich ablösen oder "emanzipieren" können, sozusagen "ausbauen", und sich in sich selbst weiterentwickeln; eben um dies zu verstehen, ist der Entlastungsbegriff so wichtig. Teils hat dieser Ausbau noch eine biolog. Technologie (Kap. 55 m. Buches), teils ist sie nur zu vermuten, teils geschieht er ohne angebbare Ratio, sozusagen wachstumsmässig. Wer eine "Autonomie" des Geistes verteidigt, muß eine objektive, aber nicht vital begreifbare oder zweckmässige Leistung desselben nachweisen, die nicht aus ja auch genetisch erklärbaren Anpassung an die empirischen Seinsstrukturen erklärbar ist: er muß also eine objektive metaphysische Leistung des Geistes nachweisen. Das kann aber niemand. Ich habe übrigens gemerkt, daß der späte Dilthey etwa meinen Standpunkt hatt: vergleichen Sie bitt VIII, 19-22, insbesonder 19 mittlerer Abschnitt, 21 der erste Abschnitt "Wenn erst ....", wobei besonders die Worte "auf derselben Grundlage" (Zeile 13 v.o.) wesentlich sind, und S. 22. Die Definition der Metaphysik analog meiner obigen steht S. 51 Mitte.
Das hinter Ihrer Polemik mehr steckt, als eine Differenz der philosoph. Meinungen, weiß ich. Ich wollte Sie aber doch in meinem vorigen Brief und in diesem darauf hinweisen, Daß Sie zu sehr extremen Positionen beikommen - ich meine wissenschaftlich. Eigentlich zu theologischen Positionen.
Mit besten Gruß Ihr ergebener
Arnold Gehlen.; von: Gehlen, Arnold an: Litt; Ort: Wien |