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Sehr geehrter Herr Kollege!
Ihre Verwahrung ist mir in ihrem ersten Teile nicht verständlich. Es ist mir doch nicht eingefallen, auch nur mit einem Worte den Eindruck zu erwecken, als ob Sie die Irrtümer der Umweltforscher teilten. Ich habe in dem betreffenden Teile der Abhandlung nur das wiedergegeben, was seit Scheler, Köhler, Pleßner, Buytendijk die communis opinio aller tiefer Blickenden ist. Vgl. S. 231 "Alle tierpsych. ..." Die ausdrückliche Nennung von Üxküll genügt doch, um zu zeigen, daß dieser Teil der Erörterung nicht gegen Sie gerichtet ist.
Wesentlich schwerer wiegt das, was der zweite Teil Ihres Briefes berührt. Ich muß nämlich im Gegensatz zu Ihnen behaupten, daß Sie in dem Bestreben, die Überflüssigkeit von Begriffen wie "Seele" und "Geist" zu erweisen, nicht darauf verzichtet haben, die vitale Seite der erörterten Zusammenhänge höchst einseitig zu bevorzugen, und zwar auch durch Betrachtungen von genetischer Art, die den Geist als Abkömmling des Vitalen zu "erklären" bestimmt sind.
Ich nenne der Einfachheit halber einige der Stellen, durch die ich diese meine Interpretation belegen würde.
57 Z. 19: Entstehung des Bewußtseins. Ebenso 148 unten,
415 Z. 7: Bewußtsein eine Folge von Hemmungs- und Kollisionsprozessen.
57 Z. 8 (mit Zustimmung zu Nietzsche) Hilfsmittel, Z. 11 v.u.: Nur
so viel ... 58 Z. 9: in allen seinen Schichten ...
366 Z. 10 v.u. Oberfläche .... Z. 4 v.u.: nie mehr
368 Z. 16: Mittel der Variation.... 466 Z. 15: notwend-
diege Bedingung (mit der daraus gefolgerten Ablehnung des auto-
nomen Sinngehaltes der Religion)
26 letzte Zeile: Definition der Kultur
36 Z. 21: Übergang vom Sensomotorischen zum Denken
Z. 27: Übergang vom physischen zum geistigen
54 Z. 8: bedingt genetisch 404 Z. 7: Höherentwicklung und
Sublimierung 269 Z. 9: Fortsetzung und Integration
41 Z. 2, 136 Z. 3 v.u. erwächst in grader Entwicklung
38 Z. 7, 147 unten: vitale Basis des Gedankens. Ebenso
210 Z. 16 v.u.
210 Z. 20 v.u.: entsteht das Wort
25 Z. 16: vitale Mängelbedigungen umarbeiten
467 Z. 7 v.u.: umwandeln
Die Quintessenz dieses Erklärungs- und Ableitungsstrebens finde ich ausgedrückt in den Sätzen S. 175 Z. 16: Alle diese Wirklichkeiten .... und S. 135 Z. 11 v.u.: von ihr aus die gesamte Handlungs- und Bewußtseinsstruktur .... verstehen.
Ich kann in alledem nichts anderes sehen als die alte biologisch-genetische Ableitung und Erklärung des Geistes, wobei ich nicht
form ist. Dazu paßt dann ja auch die Höchstbewertung des Lebens S. 53,55, 450.
Hier kann ich Ihrer These nur die andere These gegenüberstellen, daß keine einzige der spezifisch geistigen Funktionen (z. Beispiel die Sprache) sich von Vorgängen her verstehen und begreifen läßt. Die genauere Begründung könnten Sie lesen, wenn nicht einem darauf bezüglichen Buch von mir die Druckgenehmigung verweigert worden wäre. Ich deute nur an, daß nach meiner Auffassung die genetische Frage angemessen erst engefaßt werden kann, wenn die Gehaltsfrage beantwortet ist. Das wäre z. B. auf Ihre Behandlung von Intention, Symbol, Begirff zu erwidern.
Aber da Sie nun einmal das Gespräch aufgenommen haben, <...> ich die in aller Form auszusprechen, daß hinter meiner Polemik mehr steht als eine Differenz der philosophischen Meinungen. Ich kann nicht von der Überzeugung abgehen, daß gerade heute, da d. Biologismus an der Tagesordnung sind und sich aller amtlichen Förderung zu erfreuen haben, die Philosophie die Aufgabe der Abwehr und Gegenwehr hat. Wenn Sie sich z. B. auf S. 347 gegen diejenigen wenden, die dem Denken des Menschen eine metaphysische Bedeutung beilegen, so bin ich umgekehrt der Auffassung, daß die Zeitgenossen es nötig haben, daran erinnern sollte, daß im Denken zu dem auch "wir" gehört eine hohe Berufung und Verpflichtung des Menschen liegt, nämlich gerade diejenige, die ihn vom - Tier unterscheidet. Hegel hat nicht umsonst immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen.
Mit besten Gruß
Th. Litt; von: Litt an: Gehlen, Arnold; Ort: Leipzig |