Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0328
TitelBrief von: Gehlen, Arnold (Wien) an: Litt
Enthältms; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1942
Zeitbis1942
BemerkungenDokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Litt, Ihre Abhandlung in der Spranger-Festschrift veranlasst mich zu einer Rückäusserung. Ich kann nämlich nicht genau verstehen, gegen wen der polemische Gedankengang sich richtet. Der eine Gedankengang knüpft an mein Buch an (221) und verläuft in der Richtung einer Rehabilitation des "Geistes" - er wird im VI. Abschnitt wieder aufgenommen. Eingeschoben ist eine Polemik gegen die Gleichsetzung menschlicher und tierischer "Umwelt" - der ich Wort für Wort zustimmen würde. Ich selbst habe mit der These, dass der Mensch Welt und nicht Umwelt hat (sie ist von Scheler) bei den Biologen viel Widerstand gefunden, habe mich auch in einer nachgeschickten erläuternden Abhandlung (Forschg. u. Fortschr. 1941 Febr. "Der Begriff der Umwelt in der Anthropologie") genau Ihres Arguments auf S. 236 bedient. Ich gebe übrigens zu, dass Ihre Formel Umwelt + Welt (S. 233) besser ist, als meine radikale Ablehnung jedes Umweltbegriffs für den Menschen. Da aber Ihre ganze Erörterung als einheitlicher Gedankengang durchgeführt ist, hat sie als solcher keinen mir bekannten Gegner. Sondern Anfang und Ende polemisieren gegen mich, die Mitte gegen Uexküll. Etwas anderes. Ich finde auf S. 237 ("Die eine Deutung..") meine Ansicht sehr glücklich pränant dargestellt. Sie sagen dagegen: man kann nicht begreiflich machen, warum die kompensierende Kraft tatsächlich zur Stelle ist. Das ist aber zu viel verlangt, das kann auf keinem Gebiet keine Wissenschaft leisten: zu sagen, warum X oder Y da ist. Was man aber zeigen kann, ist dies: kein A ohne B, kein B ohne C, kein C ohne N, kein N ohne A -- also: kein weltoffenes Wesen ohne Handlung, keine Handlung ohne Instinktentbundenheit, keine Instinktentbundenheit ohne Intelligenz, keine Intelligenz ohne Weltoffenheit. Mit anderen Worten: Die beiden Thesen, die Sie auf S. 238 als im tiefsten entgegengesetzt bezeichnen, sind für mich genau äquivalent, denn es ist gleichgültig, ob man die eben angegebene Kette von vorne oder von hinten liest. Man muss bloss die kausale Formulierung vermeiden, dann heisst es: wenn Instinktmangel, dann Denken - oder: wenn Denken, dann Instinktmangel. Ich bitt doch zu bedenken, dass ich in meinem Buch mit grosser Sorgfalt deswegen jede Kausalfrage vermieden und durch die aquivalente Methode der gegenseitigen Bedingungen ersetzt habe. Dagegen ist es richtig, dass ich Werden, Gehalt und Bedeutung aller der Schöpfungen nicht begreiflich gemacht habe, mit denen die gleiche Macht den Kreis des aus vitalen Notwendigkeiten Erklärbaren weit überschreitet (239). Ich bin aber nicht der Meinung, dass man es prinzipiell nicht könnte. 5 oder 6 biologische Gesetze, die bis in die höchsten Höhen der Kunst (z.B.) hinaufreichen, kann ich angeben - etwa das Entlastungsgesetz. Man kann auch zeigen, dass elementare bedürfnisfreie Verhaltensweisen (Spiel) bis dahin reichen und finden, dass Schiller mit seiner Spieltheorie der Kunst einen guten Griff tat. Aber vieles, was hierher gehört, ist empirisch sehr dunkel, z.B. die Frage, was Handlungen mit innerem Ziel, planmässige Veränderungen des Binnenzustandes eigentlich faktisch bedeuten, wie sie in der Mystik vorliegen, oder die Frage, was eigentlich "Verfeinerung" etwa des Geschmacks ist - das ist ja selbst im grob Biologisch-Rassischen noch undeutlich. Oder: welche Möglichkeiten ergeben sich, wenn das Seelenleben grundsätzlich zum bewussten Seelenleben raffiniert wird (Stufe Plato im Vergleich zu den Vorsokratikern) und welche Antriebe werden dadurch befriedigt, welche ersetz, welche neuorientiert? Diese Dinge sind sehr kompliziert. In den Geisteswissenschaften z.B. befriedigen sich heute weitgehend ästhetische Interessen, während früher (zur Ziet Lionardos, der Anatomie und Prespektive) sich in der Kunst z.T. wissenschaftliche befriedigten. Ich wollte nur sagen - all diese Dinge sind nicht aussichtslos, man muss sie nur als Neuland sehen, die Fragen überhaupt erst formulieren. Auch soziologische Dinge schlagen hier ein. Es ist zwar richtig, wie Sie sagen, dass "der Mensch" nicht in einen bedürfnisbefriedigenden und einen in Freiheit geistig tätigen Teil zerfällt -- in der Gesellschaft war das aber manchmal ganz sauber auf Klassen verteilt! Vielmals grüssend, Heil Hitler! gez. Gehlen; von: Gehlen, Arnold an: Litt; Ort: Wien