Bemerkungen | Dokumentenabschrift: 4. Heft der Blätter für deutsche und internationale Politik 1959.
Lieber Herr Litt!
Nachdem ich Ihre Ansprache, für deren Zusendung ich Ihnen herzlich danke, gelesen habe, bin ich noch empörter als zuvor über die Frechheiten, Verdrehungen und Verleumdungen, die sich H. H. Holz in seinem Aufsatz geleistet hat. Trotz unserer entgegengesetzten Stellung zur Atombewaffnung stimme ich jedem Worte der Ansprache zu.
Dem Herausgeber der Zeitschrift Karl Graf von Westphalen habe ich folgendes geschrieben:
"Es ist tief zu bedauern, daß eine Zeitschrift, die den Kampf gegen die Aufrüstung tapfer und sauber führt, einem Schmähartikel wie dem von H. H. Holz gegen Theodor Litt ihre Spalten geöffnet hat.
Litts wehrpolitischen Anschauungen stehe auch ich fern; ich bedaure, daß er um die Freiheit zu retten, mit einem Pascual Jordan an einem Strang zieht. Aber Holz scheint nicht zu wissen, daß es zur Demokratie gehört, den Gegener zu achten und die Redlichkeit seiner Aussage nicht zu bezweifeln, wenn der sich sein lebelang als zuverlässig und aufrichtig erwiesen hat.
Litt ist immer ein Konservativer besten Schlages gewesen, der jederzeit der Obrigkeit und dem Zeitgeist gegenüber unerschrocken abweichende Ansichten bekundet hat. Wegen seiner Überzeugungstreue ist er von nationalsozialistischen Studenten angepöbelt, von den Machthabern des Dritten Reiches aus seiner Lehrtätigkeit entfernt worden. Er hat sich nicht einschüchtern lassen und noch 1938 das Christentum gegen die völkisch-biologische Lehre Rosenbergs verteidigt. Um seiner Überzeugung willen haben ihn die Russen abgesetzt, und als sie ihn unter vorteilhaften Bedingungen wieder beriefen, hat er es vorgeszogen, in den Westen überzusiedeln, wo er die Freiheit zu finden glaubte, zu sagen und zu schreiben, was er denkt, für das einzutreten, was er für richtig und notwendig hält.
Wer einem solchen aufrechten Manne die Absicht zu verschleiern, zu täuschen unterschiebt, muß schon von Parteileidenschaft so verblendet sein, wie das Holz offenbar ist: sonst hätte ein so vielseitig gebildeter Denker seinen Gegner nicht als Bonner Hofphilosophen herabzusetzen versucht, hätte nicht wegwerfend von einem "umfangreichen Buch" geschrieben - 3/4 Seiten! - in dem "Litt sich über Hegel ausgelassen" habe, hätte sich nicht zu der unwahren Behauptung verstiegen, oder vielmehr herabgelassen, der "ehemalige Pädagoge" sei wegen seiner Regierungstreue mit dem großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden, obwohl Holz bekannt sein dürfte, daß eine Reihe bedeutender Werke Litt einen Anspruch auf jede staatliche Anerkennung verliehen haben.
Für Holz ist es ausgemacht, daß der Marxismus den Hegelschen Idealismus vom Kopf auf die Füße gestellt habe. Er lehnt die subjektive Freiheit der bürgerlichen Aufklärung ab. Er versteht unter Freiheit Einsicht in die Notwendigkeit. Für uns im Westen ist sie Freiheit von politischem Druck, Freiheit von Furcht, von Gewissenszwang, ist sie religiöse, wissenschaftliche, künstlerische Freiheit. Wie es mit diesen Freiheiten im Osten bestellt ist, wird Herr Holz am besten wissen. In Rußland würde er sich gehütet haben mit einem Hofwissenschaftler Chrustschows so umzuspringen wie er das mit dem angeblichen Hofphilosophen Adenauers getan hat: der Fall Lyssenko hätte ihn gewarnt. Holz wird sich auch darüber im klaren sein, wie es mit der Freiheit von Furcht in einem Lande steht, wo jeder bespitzelt wird, mit der Freiheit von Gewissenzwang, wo die Kinder die Jugendweihe über sich ergehen lassen müssen, mit der künstlerischen Freiheit, wo ein Schostakowitsch, ein Pasternak haben zu Kreuze kriechen müssen, mit der wissenschaftlichen und politischen Freiheit, wo jede "ideologische Abweichung" lebensgefährlich ist.
Wenn Holz nicht der Verfasser ernstzunehmender Bücher wäre, möchte man, was er gegen Litt vorbringt, als Wortklauberei und Windbeutelei abtun."
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So hatt ich geschrieben, weil ich Sie kenne. Jetzt, wo ich Ihre Ansprache kenne, würde ich mich noch viel schärfer ausdrücken, würde Holz Verdrehung, Verleumbdung, Verfälschung aufs Schuldkonto setzen: entblödet sich doch dieser dialektische Materialist nicht, Sie der "Aufforderung zur Ketzerverfolgung" zu verdächtigen, Sie anzuklagen zur Intoleranz aufgerufen zu haben. Verbohrt wie er ist, hat er nicht einmal verstanden, warum Sie Freiheit und Unfreiheit an der Gedankenfreiheit exemplifizieren.
In solchen Fällen erquickt einen Goethes Gedicht:
Wanderen Gemütsruhe:
Übers Niederträchtige
Niemand sich beklage,
Denn es ist das Mächtige,
Was man Dir auch sage.
In dem Schlechten waltet es
Sich zum Hochgewinne,
Und mit Rechtem schaltet es
Ganz nach seinem Sinne.
Wander! - Gegen solche Not
Wolltest Du dich sträuben?
Wirbelwind und trocknen Kot,
Laß sie drehn und stäuben.
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Von meinem Schreiben an den Herausgeber habe ich nur das Unreine, von dem die Reinschrift an ein paar Stellen stilistisch, aber nicht inhaltlich abweichen wird.
Herzlich grüßt Sie, auch von Frau und Tochter, Ihr
Otto Grüters
Meine Tochter bedauert, daß Ihre Vorlesungen immer mit ihrer englischen Hauptvorlesung zusammenfallen. Zur Zeit liegt sie hier im Krankenhaus, wo man sie gestern am Blinddarm operiert hat.; von: Grüters, Otto an: Litt; Ort: Düsseldorf |