Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr Grüters!
Sie sind ein Leser, wie man ihn sich wünscht. Wie gering ist die Zahl derer geworden, die so mitzugehen bereit sind! Ich beobachte es immer wieder: einen Vortrag hört man mit Wohlgefallen an, aber dieselben Gedanken in der ausführlichen und präzieseren Ausführung zu verfolgen, die sie nur im schriftlichen Ausdruck erhalten können, empfindet man als Zumutung. Daher auch die ermüdende Fruchtlosigkeit der Unterredungen, in denen man einerseits die Nur-"Humanisten", andererseits die Nur-Naturwissenschaftler von ihren Denkfehlern zu überzeugen versucht. Es würde mir noch viel schlechter ergehen, wenn ich nicht selbst fataler Weise von der klassischen Philosophie herkäme.
Ihre durchaus ernst zu nehmenden Randglossen verstärken den Wunsch nach einer mündlichen Aussprache. Ich würde meinerseits den Nachdruck darauf legen, dass die Klassiker in den von Ihnen belegten Überlegungen sich nicht hinlänglich darüber klar gewesen sind, wie untrennbar die von ihnen keineswegs verleugnete "Welt" mit den von ihnen Formen der arbeitsteiligen Lebensordnung zusammenhängt. Bitte lesen Sie das Schillerzitat in dem Heft der Bundeszentrale, das Ihnen im Lauf der Woche zugehen wird! ("Selbsterziehung des deutschen Volkes" Neuauflage) Für Epikur und seine Nachfolger waren, wenn sie sich vom öffentlichen Leben abkehrten, nicht diejenigen Eigentümlichkeiten dieses Lebens massgebend, an dessen unsere Klassiker sich stiessen.
Vollkommen recht haben sie mit der These, dass die Umkehr in der Hochschule einzusetzen hat. Aber gerade hier sind die Ansichten denkbar ungünstig. Hier paarten sich dünkelhafte Selbstzufriedenheit mit dem Ausschluss aller von aussen kommenden Einflussmöglichkeiten. Das Bewusstsein der eigenen Gottähnlichkeit hat durch das Fiasko im dritten Reich nicht die mindeste Abschwächung erlitten. Wie es in der höheren Schule steht, wissen Sie genau so wie ich. Es will doch etwas heissen, dass ich mich im Grunde bei den Diskussionen, die mich mit der Berufsschullehrerschaft zusammenbringen, am wohlsten fühle. Hier weht wirklich die scharfe Luft der Gegenwart.
Also: ein Besuch bei Ehepaar Grüters steht auf dem Programm! Sie werden von mir hören.
Herzlich grüsst Sie beide
Ihr Th. Litt
(In Wildungen, wo ich vorgestern sprach, wurden mir von einem Schulrat Grüsse an Sie aufgetragen, dessen Namen mir leider entfallen ist. Er war in Dortmund Ihr Schüler. In Göttingen bei einer Tagung begegnete ich zu meiner Freude Kosellek. Dortmund 1933!); von: Litt an: Grüters, Otto; Ort: Bonn |