Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr Litt!
Sie sind es schuld, wenn ich das Studium von "Mensch und Welt". dem ich mit Freude und Nachdruck oblag, für ein paar Tage unterbrochen habe. Als Ihr jüngstes Kind eintraf, wollte ich gewissenhaft bei der Stange bleiben und dem Ankömmling vorläufig nur einen flüchtigen Blick vergönnen. Aber das Büchlein, für das ich Ihnen vielmals danke, fesslte mich so, daß ich nicht davon loskam und es in einem Zuge, oder genauer in zwei Zügen, auslas. Sie haben es fertig gebracht, sehr schwierige Dinge, dem "gesunden Menschenverstand" wider den Strich gehende Wahrheiten, allgemeinverständlich und überzeugend darzulegen, und alles ist so lebendig, schulstaubfrei geschireben, daß man nur an der Reife der Einsichten verspürt, daß der Verfasser bald 15 hinter sich gebracht hat. Wenn diesmal wieder jemand über Schwerverständlichkeit klagt, empfehlen Sie ihm, statt geisteswissenschaftlicher Schriften die Fabeln von Hey und Speckter zu lesen.
Aber Ihr Büchlein schreit nach einer Ergänzung. Titel: "Die Umgestaltung des Unterrichtswesens für die moderne Arbeitswelt". Sie sind der einzige, der so etwas schreiben kann und zu schreiben wagt. Und auf Sie würde man - vielleicht - hören. "Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt" wird gelesen werden und mit dem Seufzer: "Gott sei Dank nur Theorie!" in die hintere Reihe des Bücherschrankes gestellt werden. Klare Forderungen für die Praxis werden Zorn erregen, aber doch helfen, den Karren aus dem Sumpf des Gewohnten herauszuziehen.
An das Buch von Hans Freyer, das Sie mir empfohlen haben, gehe ich nur mit Zögern heran. Ich schätze Freyers "Theorie des objektiven Geistes", aber er ist doch ein Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen: "Der Staat muß erobern, um zu sein.", "Der Staat muß während der Waffenstillstände, die wir Frieden nennen, in allem die Rückkehr des normalen Zustandes: Krieg vor Augen halten" (Der Staat 1925 S. 146 u 142), zitiert nach Huisinga: Im Schatten von morgen. Mich soll wundern wie sich Freyer zum Dritten Reich gestellt hat.
zur Frage der Arbeitsteilung im Zeitalter der Technik (S.29 Ihres Buches) wäre die sehr weitgehende Abgrenzung der Handwerksgebiete im Zunftwesen zu vergleichen, wo z.B. der Gerber nicht die Riemen schneiden, der Riemenschneider nicht die Zügel oder Zaum herstellen durfte. Ein rheinischer Großindustrieller erklärte mir vor Jahren, die Industrie müßte und würde zum 6 Stundentag kommen. Rechnet man 10 Stunden für Fahren, Schlafen und Essen, verbleiben dem Arbeiter noch 8 freie Stunden. Sollen diese ganz auf Sportbetrachtung und Kino draufgehen, oder könnte der Mensch nicht doch im Schillerschen Sinn "ergänzt" werden? (zu S. 65)
Für Ihre freundlichen Worte über meinen Vater danke ich Ihnen.
Herzlich grüßt Sie, auch von meiner Frau,
Ihr Otto Grüters; von: Grüters, Otto an: Litt; Ort: Düsseldorf |