Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr Grüters!
Der Gedanke, die alte Heimat und die alten Freunde
wiederzusehen, hat mich wahrhaft elektrisiert - teils aus Gründen, die sich von selbst verstehen, teils aus solchen, von denen man besser nicht schreibt. Es besteht nur, wie ich bereits an Herr Dr. Körholz, schrieb, die Schwierigkeit: wie dorthin kommen? Sie haben meine Karte mißverstanden, wenn Sie annahmen, daß ich ohnehin im Mai im Rheinland sein werde. Ich muß mit Hilfe der dortigen Behörde die Reise bewerkstelligen, und die wird doch wohl ohrerseits den Beistand der dortigen Besatzungsbehörde nötig haben, um zum Ziele zu kommen. Ich kann von hier aus die Möglichkeiten nicht übersehen. Übrigens werde ich auch über den Mai hinaus verfügbar sein, da ich auf höheren Befehl meine Vorlesungen abgebrochen habe und auch im nächsten (Zwischen-) Semester nicht lesen werde. Auch darüber redet man besser mündlich.
Als Themata habe ich dem Vortragsamt angegeben:
Wahrheit und Weltanschauung
Staat und Sittlichkeit
Wege und Irrwege geschichtlichen Denkens
Die Themen vertrügen es auch, mehrstündig behandelt zu werden. Das dritte wäre natürlich für die Geschichtslehrer besonders geeignet. Ich bin der Überzeugung, daß unser sog. "historischer Sinn" zu den Gründen unseres Unglücks gehört. Ich habe weithin in Universitätskreisen beobachten können, in welchem Maße er das sittliche Urteil und den Willen lahmgelegt hat. Überhaupt: welche Beobachtungen kann man bis zum heutigen Tage, und heute erst recht, über die Seelenverfassung unseres Volkes machen! Man lernt nicht aus. Wie viel Kunstgriffe, sich vor der Anerkennung der Wahrheit zu drücken!
Nun, hoffentlich können wir über dies alles demnächst mündlich reden! Übrigens sprach ich gestern mit Papa Straube, der gerade "rehabilitiert" ist, sehr intensiv über seine Beziehungen zu Familie Grüters.
Seien Sie mit Ihrer lieben Frau herzlich gegrüßt
von Ihrem
Th. Litt; von: Litt an: Grüters, Otto; Ort: Leipzig |