Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0252
TitelBrief von: Thieme, Carl (Basel und Lörrach) an: Litt
Enthältms; Brief 1 Blatt A 4
Zeitvon1950
Zeitbis1950
BemerkungenDokumentenabschrift: Verehrter, lieber Herr Litt, als vor fast 20 Jahren mein Vater seinen 70. Geburtstag feierte, da war es für ihn und für uns Angehörige eine wirkliche Freude, aus den Glückwunschbriefen ein Echo auf sein Wesen und Werk zu entnehmen, das stärker war, als wir erwartet hatten. Von jener Erfahrung her erscheint es mir als Recht und als - willkommene - Pflicht, zum entsprechenden Anlaß in analoger Weise nun auch Ihnen ein Wort über unsre herzlichen Wünsche für noch ein paar ruhigere Jahre als die hinter Ihnen liegenden Kampfjahrzehnte hinaus zu schreiben. Was Ihnen eben in diesen Jahrzehnten geschenkt worden ist, scheint mir dies zu sein: Daß Sie gerade den Menschen, denen der Halt im 'Objektiven', in religiösen Glaubensüberzeugungen, nur in gerimgem Maße oder sozusagen gar nicht gegeben war, durch Ihr Denken und durch Ihr Sein zum Helfer werden durften, wo vielleicht nicht immer der Bewährung so doch wenigstens der Orientierung. In einer Zeit, wo es für den nicht im kirchlichen Sinne dieses oder jenes überlieferten Bekenntnisses Gläubigen besonders schwer war, das Hausbrot 'gut' und 'böse' über den Kategorien 'notwendig und zufällig' nicht zu vergessen (um mit Jakob Burckhardt zu sprechen), haben Sie gerade solchen Menschen vorgelebt und sie begreifen gelehrt, daß es nun eben doch schon vom Humane aus solch ein 'gut' und 'böse' gibt, und haben noch dazu dieses Humane gegen das Uebernatütrliche hin offen zu halten verstanden, wo allzuviele andern eines hermetisch gegen das andre absperren zu müssen meinten - von dieser oder von jener Seite aus. Ich bin gewiß, daß Ihnen dafür nicht allein viele von denen dankbar sein werden, die unmittelbar in solcher Lage sich an Ihrer Lehre und an Ihrem Beispiel aufrichten durften, sondern auch manche von denen, die für die eigne Person auf minder geistig exponiertem Posten stehn konnten, aber sich über jeden getrennten Bruder doppelt freuen, der auf dem gefährdeteren aushielt. Mancher wird sich wohl auch mehr oder weniger bewußt schämen müssen, wenn er vergleicht, wie viel weniger in seinem eignen Bereich aus größeren anvertrauten 'Talenten' an Ertrag herausgeholt worden ist. Den bitteren Ernst des Urteils, das Sie unter diesem Gesichtspunkt beim Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland zu fällen genötigt waren, teile ich, wie Sie wissen, in vollstem Maße. Das Gericht erscheint mit heute unabwendbarer denn je; und speziell auf dem Sektor der christlich-jüdischen Versöhnungsarbeit, auf dem ich seit Jahren neben- und seit einem Jahr sozusagen hauptberuflich arbeite, kann ich im ganzen nur mit Erschütterung eine totale Verstocktheit gerade unsrer vermeintlich 'Fromme' feststellen, gegen die kein Kraut gewachsen zu sein scheint. Ein im Rahmen dieser Arbeit von mir herausgegebenes Gedicht-Bändchen erlauben Sie mir als bescheidenes Zeichen meines Gedenkens zu Ihrem Festtag zu übersenden, dazu noch einiges Material, das an über 20000 katholische und fast 10000 evangelische Pfarrer und Religionslehrer ging bzw. geht, bisher aber erst eine beschämend geringe Reaktion unter denselben ausgelöst hat, soweit sich übersehen läßt. Wenn es - vielleicht schon bald - doch einmal zu der längst ins Auge gefassten Gründung einer 'Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Bonn und Köln' kommen sollte, bin ich gewiß, auf Sie zählen zu dürfen. Nochmals herzlichste Wünsche von Haus zu Haus anläßlich des Weihnachtsfests, Ihrer Geburtstagsfeier und des Jahreswechsels von Ihrem ergebensten gez. Carl Thieme; von: Thieme, Carl an: Litt; Ort: Basel und Lörrach