Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr verehrter, lieber Herr Professor!
Die Antwort auf Ihren Brief kommt nur deshalb so spät, weil mir die bösen Sätze Heideggers nicht mehr so deutlich sind, daß sie einen Aussagewert haben und außerdem der Versuch mißlang, meinem Gedächtnis durch einen anderen Teilnehmer der Heidelberger Nazi-Veranstaltung aufhelfen zu lassen. Diese Nachfrage wurde mir erst heute beantwortet. Ich selbst weiß nur noch, daß Sie mit Spranger und Freyer von dem Propheten der braunen Welt zum Gerümpel einer vom Nazismus "revolutionär" überwundenen Zeit wurden. Dies jedenfalls war das Thema und das Niveau jenes auch klimatisch schwülen Nachmittags in der Heidelberger Aula. Am deutlichsten ist mir noch, daß der dabeisitzende Jaspers in besonders unfairer Weise indirekt beworfen wurde. Wahrscheinlich hebt sich mir die Heidelberger Szene deshalb mir undeutlich ab, weil ich im Anschluß an das Heidelberger Semester Herrn Heidegger einen ganzen Winter lang in Freiburg erlebte, auch seinen Aufruf an die Studenten vom 3.11.33:"Nicht Lehrsätze und "Ideen" (in Anführungszeichen!) seien die Regeln Eures Seins. Die Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz". Muß ich Ihre Frage so verstehen, daß der Kerl wieder einmal gegen Sie bellte? Sie sollten so etwas nicht zulassen. Sonst fühlen sich gleich die "Mitläufer" zu neuen Taten aufgerufen.
Mit dieser schnellen Antwort verbinde ich noch eine Frage. Wir möchten eine Nummer der Zeitschrift "Deutsche Schule" dem Thema der politischen Bildung widmen. Das ist sicher kein orginelles Unternehmen, aber ich meine, wir müßten immer und immer wiedersagen, was notwendig und wahr ist. Haben Sie von Ihren Vorträgen einige Seiten bereit, ich meine: ist möglicherweise einer der eindrucksstarken Vorträge so weit zum Aufsatz gediehen, daß er der Zeitschrift voranstehen könnte? Ich selbst möchte mit einigen Beispielen das Thema "Geschichte als politische Bildung" bedenken. Steckt etwas in dem Thema: Philosophie als polit. Bildg.?
Ich weiß wohl, wieviel Kraft Sie der Aufgabe zuwenden, draußen in allen Teilen der Bundesrepublik zu sagen, was nur Sie sagen können. Das ist bedeutsamer, als ein Aufsatz für unsere Zeitschrift. Aber die Frage kam mir eben wie von selbst in die Feder.
Meine Frau und die Kinder sind dabei, die nächsten 4 Tage aus dem Alltag herauszuheben. In Vorfreude gedenke ich Ihrer sehr herzlich. Wenn ich mir und anderen gern sage, daß ich Ihr Schüler bin, so stimmt das mehr noch als für die Leipziger Jahre für die Zeit seit 1945. Der Krieg hatte manchen geistigen Besitz vernichtet, im Umgang mit Ihren Büchern kam alles wieder herauf und wurde neu. Darum sei auch heute wieder Dank gesagt.
Ihr Ernst Schütte.; von: Schütte, Ernst an: Litt; Ort: Düsseldorf |