Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0245
TitelBrief von: Schmutzler, Siegfried (Leipzig) an: Litt
Enthälths; Brief Doppelblatt 14 x 20,3 cm
Zeitvon1950
Zeitbis1950
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor! Wenn sich am 27. Dezember dieses Jahres Ihr Geburtstag zum 70. Male jähren wird, so sollen Sie wissen, daß auch wir, meine Frau und ich, an diesem Tage von Herzen Ihrer gedenken. Möchte es Ihnen geschenkt sein, diesen Tag in leiblicher und seelischer Frische und trotz aller lähmenden Zeitumstände als einen rechten Freudentag zu begehen! Darüber hinaus erbitten wir für Sie noch einen Reigen von irdischen Jahren für weitere fruchtbare und segensreiche Forschungs- und Lehrtätigkeit als Philosoph und Pädagoge! Wir Jüngeren ahnen - und dies zu ahnen ist wahrlich nicht schwer -, daß Sie, hochverehrter Herr Professor, zu einem so hohen Freudentage dennoch nicht nur Gedanken der Freude bewegen werden, sondern auch viel Schmerzliches. Es kann nicht anders sein bei einem Manne, der zu den Geschicken seines Volkes und zu dem geistigen Schicksal der Jugend dieses Volkes so leidenschaftlich seit jeher Anteil nimmt, ja dessen ganzes Forschen und Denken stärkstens von hier gespeist und immer neu zugetrieben wird. Und was ist allein in dem letzten Jahrzehnt Ihres Lebens, seitdem wir uns am 27. Dezmeber 1940 im Ratskeller des Neuen Leipziger Rathauses zur Feier Ihres 60. Geburtstages im engen, viel zu engen Kriegskreise versammeln durften, über unser Volk und seine Jugend, aber auch über Sie ganz persönlich zu Schrecklichem und Schmerzlichen hereingebrochen! Wie nahe liegt es da auch für Sie, angesichts der bitteren Enttäuschungen und Erfahrungen die Frage nach dem Sinn aus und auch Ihres eigenen philosophischen und pädagogischen Lehrens und Forschens zu stellen. Gerade angesichts solch dunklen Fragens möchten wir - ich darf hier Ihre Schüler Richard Lodnstädt und Siegfried Kube einschließen - Ihnen zu Ihrem 70. Geburtstage mit doppeltem Nachdruck bezeugen: Wir sind Ihnen wirklich von Herzen dankbar für alles, was Sie uns als Philosoph, als Pädagoge und als Mensch gegeben haben. Was wir empfangen durften, war . Sie half und damals, und hilft uns heute, in verwirrter Zeit nüchtern zu bleiben und klaren Kurs zu behalten. Und unauslöslich stehen Sie vor uns als der Philosoph des Geistes und der Verantwortung, der nicht nur lehrte, sondern auch , was er lehrte und dafür einstand mit seiner Existenz. Möchten Sie es heute nicht als <...rische> Redensart sondern als unser dankbares Bekenntnis hinnehmen, daß wir uns noch immer uns erst recht dem echten Geiste, den Sie lehrten und lebten, verpflichtet wissen in unserem Denken und Handeln. Erlauben Sie auch noch, daß ich Ihnen zu Ihrem Ehrentage erneut meinen persönlichen Dank ausspreche für alle ganz persönliche Anteilnahme und Förderung, die ich von Ihnen während des Studiums und danach erfahren durfte. Auch dafür, daß Sie für meinen Wechsel zur Theologie volles Verständnis zeigten. Waren Sie selbst es doch, der mich zuerst mit den Intentionen der dialektischen Theologie (der ich übrigens bei aller Verbundenheit sehr kritisch gegenüberstehe, nicht nur in der Idealismusfrage) vertraut machte und mich nachdrücklich auf das Grundanliegen der christlichen Anthropologie hinwies. Zur Zeit stehe ich im Examen. Die Zulassung war nicht einfach. Denn sie war abhängig von dem Ausgang einer politischen Prüfung in marxistischer Dogmatik. Das war eine harte Nuß. Wir halfen uns, indem wir unsere Antworten möglichst deutlich als Referat kenntlich machten. Trotzdem ging es einige Male heiß her. Nach dem Wesen des Staates gefragt, erlaubte ich mir, zunächst die idealistische Staatstheorie zu entwickeln. Der Examinator unterbrach sofort mit den Worten: "Hier wird nicht Theorie geprüft, sondern was ist." Worauf ich nicht umhin konnte, deutlich zu machen, daß auch das "was (nach der Meinung des Examinators) ist", nur in Form einer Theorie ausgesprochen werden kann. Man ließ uns trotzdem alle durch. So Gott will, werde ich es Ostern 1951 geschafft haben. Wenn Zeit, Kraft und Geldbeutel es erlauben, werde ich dann versuchen, ein paar Wochen in Westdeutschland zu verbringen. Ich hoffe, auch Bonn berühren zu können, und es wäre mir eine große Freude, Sie dort zu begrüßen. Aber bis dahin muß noch viel Examensschweiß die Pleiße hinabrinnen. Nehmen Sie zum Schluß auch herzliche Weihnachtsgrüße und -wünsche, desgleichen für Ihre hochverehrte Frau Gemahlin,von Ihrem dankbaren Siegfried Schmutzler und Frau.; von: Schmutzler, Siegfried an: Litt; Ort: Leipzig