Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Freund!
Wenn es nur nach dem Zuge meines
Herzens ginge, so würde ich am 27. Dezem-
ber nach Bonn kommen, um Ihren
70. Geburtstag persönlich mit Ihnen zu
feiern. Aber ich traue mir den Kampf
mit den Verkehrsverhältnissen des dritten
Weihnachtstages nicht mehr zu, besonders,
nachdem ich im August mit Fahrkarte
II. Kl. von Bonn bis Mainz eingekeilt
stehen mußte. So komme ich nur brieflich
zu Ihnen und gebe mich im übrigen der
Hoffnung hin, daß wir beide doch einmal
eine stille Privatfeier werden haben kön-
nen.
Bei der Fülle derer, die Sie beglück-
wünschen werden, bedeutet es für Sie viel-
leicht eine Wohltat, wenn auch dieser Brief
sich hinsichtlich der Ausdehnung in maßvollen
Grenzen hält. Für den historischen Teil
darf ich auf die Ledermappe verweisen,
die man Ihnen übereichen wird. Das
einzige Angebinde, was ich sonst für Sie
habe: die Ihnen gewidmeten 5-6 Auf-
sätze, ist ohne meine Schuld noch nicht
fertig. Ich habe die letzten drei Tage
noch eifrig daran gearbeitet und bei
jedem Satz an Sie gedacht, wie der Schü-
ler an den Lehrer, dessen strenge Kor-
rektur ihn zur äußersten Sorgfalt ver-
anlaßt.
Ist somit vom Vergangenen schon
gesprochen und das kleine Buch noch
"zukünftig", so bleibt von der Ge-
genwart allein zu reden. Zunächst:
ich wünsche Ihnen eine beglückende
Feier, ohne Deklamation, aber voll Liebe, Dankbarkeit und Wärme, wie sie nicht nur Ihre
Schüler für Sie hegen, sondern z. B. auch ich.
Möge sie aber auch so sein, daß Ihre verehrte
liebe Frau Gemahlin, die ja in allem
mitgefeiert wird, davon nicht zu große An-
strengung hat!
Wenn man sich früher ausgemalt hat,
wie man gegebenenfalls durch das schöne
Ziel des 70. Geburtstages gehen würde, so
hat man vielleicht die Wunden nicht so
vorausgesehen, die man unterwegs emp-
fangen würde. Zum Schmerz Ihrer Freu-
de ist das Schicksal mit Ihnen mehrfach
hart umgegangen, und es sind Stunden
dabei, die man nicht vergessen und
nicht verwinden kann, wie man etwa
den Weggang von Leipzig verschmerzen
könnte. Daran <...> wir heute leicht:
Man hat begriffen, daß das alles zum Leben
gehört. Der 70. ist kein Jubeltag. Aber er
darf bei ihnen doch als ein Siegesfest
begrüßt werden. Sie haben die schönsten Tri-
umpfe in der Wissenschaft erzielt; Sie haben
das deutsche Volk als stets aufrechter Mah-
ner geführt, Sie haben unzähligen Schülern
bei dem Aufbau ihrer geistig-sittlichen
Welt geholfen. Nun erlauben Sie mir,
unbescheiden genug ein Viertes hinzuzu-
fügen: Sie haben ein paar Freunde
gewonnen, die auf Sie stolz sind und
sich ihren eigenen Weg nicht ohne Sie denken
können, nicht ohne das Licht und den
Reichtum, den Sie in das Dasein des
Freundes hineingebracht haben. Deshalb, um
ein Beispiel zu nennen, ist am 27. XII
auch in der Rumelinstr. 12 ein Festtag
voll Freude und Dankbarkeit. Wir beide
hier grüßen mit bewegtem Herzen
Ihre liebe Frau, Herrn Referendar Rudolf
und den Jubilar mit den herzlichsten Wünschen
für viele Jahre des Schaffens und Schenkens!
Ihre getreuen Eduard u. Susanne Spranger.; von: Spranger, Eduard an: Litt; Ort: Tübingen |