Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0238
TitelBrief von: Spranger, Eduard (Berlin-Dahlem) an: Litt
Enthälths; Brief Doppelblatt 14,7 x 20,8 cm
Zeitvon1942
Zeitbis1942
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Freund! Sie kennen den Genuß, mit dem man sich nach einer Kette von Mühen etwas lange aufgespartes Schönes gönnt. Das Semester ist beendet, der Akademievortrag gehalten, die ca 450 Danksagungen sind fast vollständig er- ledigt. Nun darf ich mich sichtbar zu Ihnen wenden, wie es im stillen in der Zwischenzeit jeden Tag geschehen ist. Sie kennen meine Dankbarkeit für alles, was Sie mir zum 27.6. gegeben haben. Ihr lieber Brief sprach dasselbe aus, was ich empfinde: Wir sind zusammen- gewachsen, erst durch den Beruf, dann durch manche gemeinsame Seelennot. Wir waren aber auch füreinander bestimmt. Denn bei weitgehender Ähnlichkeit, schon im Denken, er- gänzen wir uns. Ihre Linie ist viel fester und klarer als die meine; bei mir sind die u - Haken manchmal runder als die Ihrigen, und so kann ich vielleicht Ihre Art zu sehen gelegentlich etwas mildern. Aber was ich heute aussprechen möchte, ist vor allem andern das tiefe Gefühl des Glückes, daß Sie da sind, daß wir die Schwere dieser Zeit gemeinsam tragen und daß ich in Stunden der Einsamkeit oder Schwäche bei Ihnen immer Stütze und Trost gefunden habe - finden werde. Nur daß wir räumlich jetzt mehr getrennt sind als in normalen Verkehrszeiten, ist mir oft schmerz- lich gewesen. Da war es mir denn das schönste Geschenk, daß Ihre liebe Frau Gemahlin und Sie selbst am 27.6. persönlich gekommen sind. Meine Frau hat es schon wiederholt ausgesprochen: dies gab dem vielfältigen Kreise den festen Mittelpunkt. Erlauben Sie mir zu sagen: Da ich von meiner Seite keine Familie habe, haben Sie an mir Bruderstelle vertreten. Ich weiß nicht, wie Sie persönlich zu Flit- ner stehen. Er ist im Empfinden weicher als wir, in der Gesinnung ebenso fest. Je mehr ich ihn kennen gelernt habe, um so feinere und zartere Tiefen habe ich an ihm entdeckt. Sein Faust - Aufsatz in der Festschrift ist dafür auch Zeugnis. Sie werden es verstehen, wenn ich sage: auch Flitner gehört zu meinen Nächsten, wie natürlich der stets erprobte treue Wenke. Ihre Gabe zu der Festschrift ist wieder ein Meister- werk philosophischer Gedankenführung. Ich bin in der glück- lichen Lage, hinsichtlich der Sache ganz mit Ihnen einig zu sein. Aber ich hätte den ideellen Aufbau nie so klar und elegant zustande gebracht. Auch solche schlagenden Wendungen wie S. 236 Anm. hätten mir nicht zur Verfügung gestanden, ebenso S. 238 Mitte. Für besonders wichtig halte ich Ihre These, daß die menschliche Umwelt in sich die unumgängliche For- derung enthält, sie zu . - Ich wollte das Hauptexemplar der Festschrift mit meinen Strichen eigentlich nicht entstellen. Aber bei Ihrem Beitrag habe ich dann schließlich doch die Sätze, die mir als besonders packend auffielen, unterstrichen. Gegen Schluß ist immer weniger von diesem Schicksal verschont geblieben. - Empfangen Sie für dieses große Geschenk meinen herzlichsten Dank! Von den anderen Auffsätzen haben mir Ode- brecht, Bollnow, Rothacker u. Oelrich am meisten gegeben, abgesehen von dem schon erwähnten Flitner- schen Kleinod. Eigentlich wünschte man, jede Woche von einander Nachricht zu erhalten; ich wünsche vor allem immer zu wissen, wo Ihre Söhne sind, ob die Briefe regelmäßig eintreffen, und wie es ihnen geht. Das Bild des Krieges hat sich in den letzten 2 Monaten grundsätzlich gewandelt. Wir werden all- mählich aus dem Westen verdrängt und - siegreich - nach Osten geworfen. Man hat nicht den Ein- druck, daß nach irgend einer Seite sich endgültige Resultate anbahnen. Wohl aber erfüllt der an- wachsende Zustand der Knappheit bei uns mit begründeter Sorge. Ob es ratsam ist, jetzt von Berlin wegzu- ziehen, ist eine unbeantwortbare Frage. Kommt eine Sprengbombe, ist es sehr ratsam; kommen Brandbomben, so vielleicht garnicht, wie mir nach einem heute früh aus Köln erhaltener Bericht erscheint. Jedenfalls wollen wir am Dienstag nach Königstein im Taunus (Pension Zartmann, Ölmühlweg 19) fahren und dort 3 Wochen Bleiben. Mein Gesamtbefinden macht es sehr nötig. Und haben Sie sich, gegebenenfalls Ihre liebe Frau Gemahlin allein, für die entschlossen? Wenn man etwas Gutes weiß, sollte man wohl für den Winter möglichst viel Kräfte sammeln. Wir beide grüßen Sie beide herzlichst und bitten um gelegentliche Kartennachrichten. Noch einmal danke ich Ihnen für alle freund- schaftliche Güte, nicht nur die zum 27.6. bewiesene, von ganzem Herzen! Ihr Eduard Spranger; von: Spranger, Eduard an: Litt; Ort: Berlin-Dahlem