Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0236
TitelBrief von: Spranger, Eduard (Berlin-Wilmersdorf) an: Litt
Enthälths; Brief 3 Blatt 14,1 x 22 cm
Zeitvon1927
Zeitbis1927
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Freund! Schon zu Weihnachten hätte ich Ihnen über uns gemeinsam beschäftigende sachliche Frage näher geschrieben, wenn nicht der schmerzliche Verlust, der Sie damals traf, das Menschlich-Persönliche in den Vordergrund gerückt hätte, das ja auch sonst um Weihnachten sein spärliches Recht an uns - und nicht in einem froheren Sinne - geltend macht. Aber es fehlt mir, wenn ich mit Ihnen der Weggemeinschaft nicht bis ins Einzelne hinein bewußt und gewiß sein kann. Trotzdem muß ich mich diesmal, meinem Herzen folgend, Persönliches voranstellen. Vor allem die Frage, wie es mit Ihrer lieben Tochter steht und welche Entschlüsse Sie nun für dieses Jahr gefaßt haben. Und dann: wie Sie sich zu der schwierigen Frage des Rufes an die sogenannte Universität Frankfurt verhalten werden. Im übrigen muß ich an den Weimarer Kongreß anknüpfen, wenn ich wieder in vollen Zusammenhang mit Ihnen kommen will. Ich habe mancherlei darüber gehört und besitze ein - aller- dings verwaschenes - Totalbild davon. Daraufhin muß ich dabei bleiben, daß es ein Mißgriff des Unglücksraben Behrendt war, wenn er uns mit der Auferstehung des deutschen Ausschusses beglückte. Auch Sie werden mir das jetzt wohl zugeben. Daß ich in dieser Sache absolut passiv blieb, erkläre ich Ihnen damit, daß ich die Reichsschulkonferenz mitgemacht habe, Sie nicht. Ihr Vortrag ist von bekannter klassischer Reife. Er hegt wichtige Gedanken in so meisterhafter Form, daß man sich erlöst fühlt, das nun einmal ausgesrochen zu finden. Nur in einem psychologischen Punkte scheint er mir zu weit zu gehen: er nimmt den schönen Schleier der Begeisterung vom Auge des deutschen Schul- meisters. Wenn ein Junge in der Schule sitzt, so darf man ihm nicht sagen, daß es zunächst um die unregelmäßigen Verben geht; man muß ihn glauben lassen, daß er durch sie nur durch sie in den Himmel der größten Seligkeiten eingeht. Wie will er sonst das Elend tragen? Und beim Schulmeister ist es ebenso: wir haben die Pflicht, ihm sein Elend zu ver- süßen. Religion und Kultur hat mir viel zu denken gegeben. Seitdem ist ein gutes Gespräch mit Grisebach hinzugekommen. Auch mit Ihnen möchte ich darüber einmal sprechen. es ist doch so, daß Kulturarbeit immer mehr die Form wird, in der wir Religion haben, und hier kehrt jener erste Gesichtspunkt wieder: man muß glauben können, daß das Gottesdienst ist. Aber ich sehe das plus ultra an einer anderen Stelle: Gogarten und seine Geistes- gefährten haben dies nicht: die Liebe, die zugleich von dieser Welt ist und nicht von dieser Welt. Sie allein schlägt die Brücken. Über die große Geschichte der Ethik kann ich noch nichts sagen, weil ich sie erst lesen kann, wenn ich in diese histor. Probleme einmal zurückkehre. Im letzten Heft sind wir nun mit unsern Pestalozzis beieinader, und gerade um die zur Wirkung zu bringen, versende ich 100 Exemplare buchstäblig in alle Welt. Der Stil beider Aufsätze ist wieder typisch für uns: der Ihrige ist unendlich viel geistvoller und gedankenschwerer als der Meine. Ich werde ein Gefühl von Neid nicht los. Nur dies darf ich sagen: Wenn Sie statt Pestalozzi überall Fröbel setzen, ginge es zur Not auch. Bei mir ist die <...> zum Konkreten stärker. Sie entnehmen aus dieser Rede, was mich im Winter vor allem beschäftigt hat. Ich habe neben dem Laufenden (und viel bleibt daneben nicht) fast nur Pestalozzi gelesen. Die Tage in der Schweiz waren auch recht schön. Seitdem war ich in Kiel (Marineoffizierstag, Kant- gesellsschaft, Besichtigung der Päd. Akademie, die gut wird), Lübeck und Stralsund, wo ich ebenfalls gesprochen habe. Vom 3.-6. April arbeite ich mit einem kleinen Kreis von Lehrern in <..itzmehn> bei Oldenburg. Am 8. ungefähr will ich dann für 14 Tage Erholung suchen, bestimmt in Kerschensteiners Ruhe in <...>. Ich habe den ganzen Winter unter nevösen Verdau- ungsbeschwerden gelitten, mich aber sonst recht gut befunden. Eben las ich, daß Sie um den 8. in Eberswalde reden. Ob sich eine Stunde des Zusammen- seins trotz meiner Reiseumstände findet? Interessieren wir Sie, was ich ganz ver- traulich hinzufüge. Der neue Geschäftsführer des DLV. war kürzlich bei mir - ein verständiger Mann - und deutete an, daß er es begrüßen würde, wenn der DLV. mit Anstand aus seiner einseitigen schulpolitischen Einstellung heraus- käme. Ich soll (wenn ich will) einen Aufsatz schreiben, der hinüberlenkt, und dazu habe ich nicht übel Lust, obwohl ich noch nicht weiß, ob es mir gelingt und wie man dieses heiße Eisen am besten anfaßt. Aber ran muß jemand an die Geschichte, und da Sie Weimar auf Ihre Kappe genommen haben, so bin ich im stillen bereit, meinen Buckel mal wieder hinzuhalten. In Kiel lernte ich Frau Hilner kennen. Leb- haft, intelligent, sympathisch. (Frau Peters, die Gattin des Akademiedirektors, hat es mir freilich noch mehr angetan.) <...> ist mir manchmal für faule Gerüchte nicht <...> genug, und sein ironisches Wesen wie sein <...> <...> geben der Zeitschrift bisweilen eine Note, die ich nicht will. Die <... hochschulsentimentalität> scheint er nicht ganz überwinden zu können. Aber die Entwicklung - mit 2500 Abonennten - ist ja wesentlich sein Verdienst, und ich liebe es, wenn meiner ablehnenden <...> gegeben werden. Kerschsteiners Gesundheit machte mir in <...> Sorge. Deshalb suchte ich seine >Nähe>. Über haben wir auch noch nicht gesprochen. Es war ein starker Erfolg unserer Seite. Aber <...> bleibt mir, daß 7 Schriften nicht genügen, um die Ggenseite zu überzeugen, daß man doch auch seine <...> hat. Es ist spät. Ich breche ab und grüße Sie und Ihre Frau Gemahlin herzlichst Ihr treu ergebener Eduard Spranger.; von: Spranger, Eduard an: Litt; Ort: Berlin-Wilmersdorf