Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0230
TitelBrief von: Reble, Albert (Lüdenscheid) an: Litt
Enthältms; Brief 2 Blatt A4
Zeitvon1950
Zeitbis1950
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter, lieber Herr Professor! Infolge einer Grippe habe ich leider einen Weihnachtsgruß nun nicht mehr zur rechten Zeit absenden können. Das ist mir doppelt unangehm, weil auch ein Bericht von uns schon wieder so sehr lange aussteht. Ich möcht mir nun aber erlauben, Ihnen zum 70. Geburtstag schlichte, aber recht herzliche persönliche Grüße und Wünsche auszusprechen, auch im Namen meiner Frau. Von ganzem Herzen wünschen meine Frau und ich, daß Ihnen und auch Ihrer lieben Familie an diesem Tage des festlichen Gedenkens wie auch im kommenden Jahre weiter bezw. wieder volle Gesundheit geschenkt sei und daß Ihnen jene große Kraft und Freude des Wirkens weiter erhalten bleiben möge, die Sie bisher allem Schweren, Niederdrückenden so trotzen ließ und die bei der zunehmenden Verdüsterung der Gesamtlage doppelt wichtig ist. Ich weiß mich persönlich an diesem Tage zu besonderer Besinnung aufgerufen und darf in tiefer Dankbarkeit und Verehrung Ihrer gedenken. Dabei tauchen vor mir sehr plastisch viele Erinnerungsbilder auf, aus der Studentenzeit und aus den späteren Jahren, frohe gesellige Stunden und sehr ernste Gespräche, im alten Seminar- und Schülerkreise und in ganz persönlicher Form. Bei der Betrachtung dieser letzten 18 Jahre finde ich in meiner äußeren wie besonders meiner inneren Bahn ganz entscheidende Punkte und Linien durch Sie, hochverehrter Herr Professor, mit gestaltet, sei es durch ihre Art des Denkens, Lehrens und Handelns, sei es darüber hinaus durch bewußte Wegweisung und Hilfe. Aus dieser tiefen Verbundenheit und inneren Verpflichtung möchte ich Ihrer übermorgen herzlich gedenken und Ihnen meine innigsten Wünsche darbringen. Dem kann eine kleine Arbeit als Gabe wirklich nur schlecht Ausdruck geben. Erst recht kühn ist es wohl, wenn ich es wage, Ihnen als Geburtstagsgabe eine kleine Gesamtdarstellung der Geschichte der Pädagogik darzubringen. Sie ist ja nicht einmal eine originale Forschungsarbeit, und ich muß noch dazu deshalb Bedenken haben, weil ich mit manchen Partien noch nicht ganz zufrieden sein kann, besonders einzelne Abschnitte aus der Darstellung des 19. und 20. Jahrhunderts haben aus äußeren Gründen jetzt neben dem Schuldienst nicht ganz ausreifen können. Ich habe dennoch geglaubt, die Widmung wagen zu dürfen, weil die Konzeption doch in besonderem Maße verpflichtet ist. Sie versucht wenigstens im groben einmal die Aufgabe durchzuführen, die Sie der Geschichte der Pädagogik mit Nachdruck stellen und die für die Lehrerbildung nicht unwesentlich ist. Manches ist bestimmt zu skizzenhaft und blaß, aber der Verlag wollte am liebsten eine noch kürzere Arbeit haben, andererseits wollte ich eine Schul- und Erziehungsgeschichte ebenso vermeiden wie eine im engeren Sinne ideengeschichtliche Darstellung. Ich wäre iHnen für Kritik selbstverständlich besonders dankbar. Entgegen dem Plan ist der Druck bei Klett im Augenblick leider noch nicht fertiggestellt, obwohl die erste Korrektur bereits ganze Reihe von Wochen zurückliegt. Verzeihen Sie bitte, daß Ihnen zum 27.12. nun nur ein Durchschlag des Manuskripts zugesandt werden kann als Provisorium. In manchen Teilen ist bei der Korrektur auch noch einiges ergänzt worden. Ich hoffe, daß das endgültige Exemplar bald folgt. Sehr peinlich ist es mir, daß ich seit dem letzten Brief wieder so lange geschwiegen habe, entgegen meiner Absicht und meinem Versprechen. Ich möchte nun noch einiges Persönliche berichten aus den letzten Monaten. Im September hatte ich zunächst gehofft, zu der Philologentagung Ende September nach Münster fahren zu können, und hatte mich sehr auf Ihren Vortrag und auf persönliches Berichten gefreut, durch einen längeren Landschulheimaufenthalt wurde aber dann die Fahrt unmöglich für mich. Im Anschluß daran kamen bei uns recht unruhige und sorgenerfüllte Wochen. Burghild und Bernhard waren krank. Burghild mit Mittelohrentzündung mehrere Wochen auch im Krankenhaus. Zu gleicher Zeit ging es meiner Frau recht schlecht. Sie hatte starke Schwangerschaftsbeschwerden, die zu Komplikationen führten und Krankenhausaufenthalt nötig machten. Schließlich kam es zu einer Fehlgeburt. ich habe in dieser ganzen Zeit die Kinder allein zu Hause versorgen müssen, was für uns alle ziemlich schwierig war. Leider hat meine Frau sich bis heute körperlich und seelisch von der Fehlgeburt nicht recht erholen können. In der allerletzten Zeit geht es ihr allerdings etwas besser, aber es ist ein sehr labiler Zustand. Zu all dem kommt, daß die Beklemmung, die die Zuspitzung der allgemeinen politischen Lage ausgelöst hat, in besonderem Maße ihr zu schaffen macht und sehr leicht zu starken Depressionen führt. Die betrüblichen Nachrichten, die Sie im Sommer über Ihre sehr verehrte Frau Gemahlin zu geben hatten, haben mich in dieser Zeit sehr bewegt. Zum Glück konnten Stegers uns im Herbst melden, daß Ihre Frau Gemahlin wieder zu Hause ist. Wir freuen uns darüber herzlich mit Ihnen und hoffen sehr, daß sie sich wieder gut erholt hat. Ein solches Leiden gerade in dieser Zeit völlig zu überwinden, ist ja außerordentlich schwer. Wir wünschen weiterhin recht gute Besserung! Aus den Nachrichten, die von W. Steger kommen, klingt bedrückende Resignation, manchmal Verzweiflung heraus. Es ist so traurig, daß trotz alles Versuche aus seinen Plänen doch nicht geworden ist. Seit Beginn des Korea-Konfliktes vertritt er allerdings auch die Ansicht, daß eine Übersiedlung für ihn nun nicht mehr ratsam wäre: es habe kaum Sinn, in einem brennenden Haus von einem Stockwerk in ein anderes zu ziehen. Wenn auch das Haus selbst ja noch nicht ganz brennt und er damit den Ereignissen mindestens etwas vorausgreift, so glaube ich doch ebenfalls daß ein wirkliches Löschen des an der einen Stelle nun entfachten Feuers nicht mehr zu denken ist. Um so erschüttender ist gerade jetzt das politische und auch geistige Hin und Her, das engherzige Feilschen um untergeordnete Fragen und kleine nationale und soziale Vorteile, das in Mittel- und Westeuropa festzustellen ist. Gerade auch hier in Lüdenscheid zeigt sich in der Bevölkerung überhaupt wie sogar im Kollegium der Schule und bei den Schüler der Oberstufe vielfach ein kaum zu überbietender bornierter Nationalismus, ja oft reiner Nationalsozialismus. Es sieht manchmal so aus, als ob für viele die letzten 10 Jahre zu ihrer Erfahrung überhaupt nichts zugetan hätten, es werden unentwegt die alten Phrasen wiederholt, Urteile über die Juden ebenso wie Urteile über die anderen Völker. In einer schier unglaublichen Dummheit meint man, das Unrecht habe erst 1945 mit einer Unterdrückung des Nationalsozialismus begonnen, und man reibt sich wohl im stillen die Hände über die Schlappe der Westmächte in Asien. Leider sind wohl manche Torheiten der Besatzungsmächte nach 1945 mit schuld an der Konstanz solcher nationalsozialistischer Urteile, aber es ist doch erschütternd, das hier im Lande zu hören. In gewisser Hinsicht ist, das muß ich wirklich sagen, das Kollegium, in dem ich jetzt bin, nationalsozialistischer als dasjenige, dem ich im Dritten Reich angehört habe. Und solche Erfahrungen bringen manchmal doch das Gefühl der Ausweglosigkeit der Lage, mindestens für Mitteleuropa. In der hiesigen Volkshochschule ist die Philosophie durch einen alten Schüler Alfred Bäumlers vertreten. Die Gruppe der Einsichtigen ist hier, finde ich, kleiner als in der Bevölkerung der Ostzone. In Düsseldorf ist mir das nicht so erschienen, doch hier in Südwestfalen ist es wohl so, leider. Dabei kann man, was die Schüler der Oberstufe betrifft, weniger von bösem Willen als von einem Mangel an Selbstständigkeit sprechen. Aber es ist nicht leicht, gegen die alten Vorurteile anzukämpfen. Seit dem Herbst habe ich, obwohl eine Verbindung zur hiesigen Pädagogischen Akademie sich als unmöglich erwiesen hat, sogar wieder etwas Fühlung mit der Lehrerbildung. Fünf Referendare, die meiner Schule für ihr erstes Ausbildungsjahr überwiesen sind, werden von mir in allgemeiner Methodik, Pädagogik und Psychologie betreut; daß ich auf diese Weise auf das frühere Arbeitsgebiet wieder mit zurückgreifen kann, ist für mich eine schöne Ergänzung und Belebung der Schularbeit. Mit herzlichen, verehrungsvollen Grüßen und nochmals den besten Wünschen für das neue Jahr Ihnen persönlich wie auch Ihrer Frau Gemahlin und Rudolf Ihr Albert Reble.; von: Reble, Albert an: Litt; Ort: Lüdenscheid