Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0473
TitelBrief von: Litt (Bonn) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1940
Zeitbis1940
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Was Ihr Brief berichtet, das hat mich in keiner Weise überrascht, aber doch sehr betrübt, weil es so deutlich zeigt, wie schwer Sie es in der neuen Lebenssituation haben. Vieles ist mir natürlich vertraut; besonders die unglaubliche Roheit des Tons zumal in sexualibus. Das bringt dieses Landknechtsleben offenbar immer mit sich. Die "männische Gesellschaft" verschafft sich auf diese Weise sowohl das Bewußtsein ihrer überlegenen Lebensbeherrschung als auch die in der Härte des Dienstes erforderlich Entspannung. Auch die Familienväter werden meist fortgerissen, zum mindesten in den Redensarten, oft auch in den Taten. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: machen Sie möglichst gute Miene zum bösen Spiel, d.h. unterdrücken Sie die Äußerungen des Mißbehagens, die unsereinem nahe genug liegen -! Denn nichts verzeiht der durchschnittliche Muskot weniger als wenn ein Kamerad ihn erkennen läßt, daß er seine Haltung und Redeweise ablehnt. Er kann darin nichts anderes sehen als Überheblichkeit und zahlt ihm das in gröbster Münze heim. Andererseits zeigt er sich meist in gutem Sinne kameradschaftlich, wenn der Andere bereit ist, ihn als den, der er ist, gelten zu lassen. Oft habe ich gefunden, daß ein Scherzwort an rechter Stelle die Lage erstaunlich verbessert. Der Soldat ist glücklich, wenn er in der dauernden Schinderei einmal gründlich lachen kann. Und zu lachen gibt es nach meiner Erfahrung beim Kommiß doch recht viel. Natürlich bleibt dann hinter diesen Plagen des Alltags die tiefere und grundsätzlichere Sorge um das eigene Schicksal, das Los der Familie und die Zukunft des eigenen Volks und des Erdteils. Ich habe in diesen Tagen wieder einmal den Thukydides zur Hand genommen und das nachgelesen, was er an einer Reihe von Stellen zur Pathologie des geschichtlichen und zumal des politischen Lebens schreibt. Und es war mir in einem bestimmten Sinne beruhigend, zu sehen, dass dieser großartige Beobachter die Grundzüge der Weltgeschehens genau so beurteilt, wie wir es auf Grund eines ungeheuerlich vermehrten Erfahrungsmaterials auch tun. Das weltgeschichtliche Getriebe hält ohne Rücksicht auf die sittlichen Forderungen des persönlichen Gewissens und erst recht ohne Rücksicht auf das Glückbedürfnis des Einzelnen seinen Gang ein, und in dem Lärm des Jubels, der dem Erfolggekrönten entgegenschallt, verhallen alle Proteste derer, die sich mit dem Weltlauf abzufinden nicht gewillt sind. Wenn man sich das als ewige und unabänderliche Notwendigkeit klar macht, dann ist man wenigstens geschützt vor der Gefahr, sich selbst nicht nur die Legitimation durch den Erfolg, sondern auch das innere Recht abzusprechen und in der unausbleiblichen Vereinsamung die Strafe für Eigensinn und Irrtum des Urteils zu sehen. Wie unsäglich heute auch jüngere Menschen unter dem Gewissensdruck leiden können, davon erhielt ich gerade in diesen Tagen eine ergreifende Probe. Auf Bitten einer angstgequälten Mutter hatte ich mit einem früheren Schüler zu sprechen, der, jungverheiratet, aus reinen Gewissensbedenken den Kriegsdienst verweigern wollte, und zwar in vollkommener Gewißheit darüber, daß ihn das das Leben kosten würde. Es machte nicht geringe Mühe, ihm klar zu machen, daß diese Haltung auch und gerade bei Anlegung strenger Maßstäbe nicht ganz in Ordnung sei. Er ist dann wirklich seiner Einberufung gefolgt, aber ich sehe der weiteren Entwicklung mit Sorgen entgegen. Denn solche Naturen werden immer wieder in Lagen kommen, in denen sie sich vor eine unbedingte und in keiner Form zu umgehende Forderung gestellt glauben. Auch das sind Opfer, von denen niemand spricht. Man scheint aus der ganzen Weltgeschichte das qualvolle Stöhnen dieser ruhmlos Dahingegangenen zu vernehmen. Übrigens sind auch wir noch in drückender Ungewißheit über das Los jenes Neffen, der wenige Tage vor der Geburt seines ersten Kindes mit seiner Formation nach dem Norden abgegangen ist. Mit welcher Qual harrt die junge Mutter immer wieder des Briefboten! Sie sehen, ich kann Ihnen nichts schreiben, was Sie zu hoffnungsvolleren Ausblicken ermutigen könnte. Aber vermutlich würde ich auch nicht sehr glaubhaft wirken, wenn ich das versuchen wollte. Es hat wirklich keinen Zweck, sich und anderen etwas vorzumachen. Früher oder später brechen solche Fassaden doch zusammen. Wir wünschen Ihnen das Maß von Festigkeit und Gelassenheit, ohne das es nun einmal nicht geht, und grüßen Sie aufs herzlichste. Ihr gez. Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Bonn