Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0462
TitelBrief von: Doerne, Martin (Rostock) an: Litt
Enthälths; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1950
Zeitbis1950
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter, lieber Herr Litt, der ehrliche Kummer darüber, dass ich mit diesen Zeilen zu Ihrem 70 Geburtstag zu spät komme - und dass ich Ihnen den Beitrag zu der Festgabe für diesen 29.12.1950 schuldig bleiben musste, soll mir nicht Versuchung werden, anstatt eines danbar verehrungsvollen Grusses und eines herzlichen Segenswunsches Ihnen einen Entschuldigungsbrief zu schreiben. Vor <...> meiner Teilentlastung im Voraus: ich hatte eine gesundheitlich besonders schlechte Zeit schon seit August, und eben vor Weihnachten als ich mich Ihnen zu schreiben anschickte, widerfuhr mir das Missgeschick eines bruchähnlichen Schadens am linken Oberarm, das mich bis jetzt an allem Schreiben hinderte. Bitt nehmen Sie dies notdürftige Zeichen meiner persönlichsten Anteilnahme an Ihrem 70. Geburtstag auch in der Verspätung noch freundlich auf, und schliessen Sie (wenn ich auch dies bitten darf) von den Mängeln meiner Zeichengabe nicht auf eine Minderung meines herzlichen Gedenkens. Was ich Ihnen an diesem Festtage, mit vielen Ihrer alten Schüler eines, gern zu hören gäbe an Dank, an lebendigem Erinnern, an Bezeugungen der erprobten Wirksamkeit Ihres Lehrens und Forschens die in innerste Bereiche unseres Selbst- und Weltverständnisses hinein, dem durfte ich in meiner Ansprache vor zehn Jahren, in dem Zimmer des Leipziger Ratskellers, wo wir uns damals um Sie sammelten, gesammelter Ausdruck geben als ich es heute vermöchte. Damals schwebte über unserem Feiern der düstere Schatten eines Herrschaftssystems, das Ihr öffentliches Wirken nahezu lahm legte, und es ist uns in jenen Stunden nur unvollkommen gelungen, von dieseratmosphärischen Beklemmung uns freizumachen. Es ist viel Ursache zur Dankbarkeit, dass Sie bei Vollendung des damals so undurchsichtig beginnenden Jahrzehnts wieder in so weithin ausstrahlender Wirksamkeit stehen, und dass Ihnen aufs neue geschenkt wirde, in einer Reihe von gewichtigen Veröffentlichungen, nicht zuletzt in dem zusammenfassenden Werke "Mensch und Welt" den reifsten Ertrag Ihres Lebenswerkes gültig hineinzustellen in die unruhigen Bewegungswirbel unserer Zeit, nicht nur für uns Heutige, Ältere wie Jüngere, sondern auch dem kommenden Geschlecht ein Erzieher zur geistigen Redlickeit, der, soweit ich sehe, in Deutschland nicht seinesgleichen hat. Es können andere besser davon zeugen als ich, einer Ihrer schlichten Schüler, was dieses Ihr Lebenswerk bedeutet für die Geschichte der Philosophie unseres Jahrhunderts, für die Bewahrung des philosophischen Ur-Impulses in dieser weithin der Philosophie entfremdeten Zeit. Aber ich wage zu glauben, dass sich unter den Nicht-Philosophen, speziell unter der Zunft der Theologen, die überführende und mahnende Kraft Ihrer Lehre sich selten so lebenslang-beständig erwiesen hat wie an mir, wenngleich die sichtbaren Früchte der Schülerschaft bei Ihnen an mir benahe ausgeblieben zu sein schienen. Lassen Sie sich wenigstens dies Bekenntnis unveränderter, ja durch Jahre und Jahrzehnte hindurch vertiefter Dankbarkeit heute nachsichtig gefallen. Nicht zu kurz kommen soll über dem danerfüllten Rückblick der herzliche Segenswunsch für die Zukunft, die Ihnen an diesem 70. Geburtstage, soweit Menschenaugen sehen können, noch weiter und freier geöffnet ist als so manchem unter Ihren Altersgenossen auch in der akademischen Welt. Ich glaube Sie an tiefsten darin unverstanden zu wissen, dass Rückschau wie Vorblick gleichermassen Ihre selbstprüfenden, <...> anteilnehmenden Gedanken an jenes letzte Geheimnis verweist, von dem menschliche Freiheit - und menschliches Geborgensein, eines wie das andere, den Ursprung hat. Es ist nichts anderes als dies, was ich meine, wenn ich Ihre Wege und Ihre Werte an diesem Übergang Gott befehle. Das darf ich tun, auch mit Einschluss Ihrer Familie, insbesondere Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin, von deren noch währenden gesundheitlichen Nöten ich aus Ihrer letzten Karte tief bewegt hörte, und meine Frau darf ihre herzlichen Wünsche für Sie und Ihre Frau Gemahlin heute mit den meinen verbinden. Der sehr ernste Hintergrund der gegenwärtigen Weltlage (die weder Sie noch mich wie von ungefähr kommend überrascht) gilt unseren Wünschen, eigentlich nicht anders, als vor zehn Jahren, das eigentliche Gewicht. Ich unterrede mich mit Ihnen im Geiste, eben auf diesem Hintergrunde, fast täglich. Nur ganz kurz sage ich Ihnen von Herzen Dank für die Bewährung Ihrer unverdienten Treue auch während dieses Jahres, zuletzt in der gütigen Karte vom November. Ich war nur vorübergehend in Berlin vor allem zur Konsultation von Ärzten. Ein andermal hoffe ich von mir shreiben zu können. Heute nur dieses Nötigste. Ich bleibe in dankbarster Verehrung Ihr M. Doerne; von: Doerne, Martin an: Litt; Ort: Rostock