Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor P 2-0040
TitelAutobiographisches: Bericht über den Luftangriff am 20.02.1944 auf Leipzig
Enthältms; 1 Blatt A4;
Zeitvon1944
Zeitbis1944
BemerkungenDokumentenabschrift: 20. Februar 1944 (27. Februar 1945: kein Bericht geschrieben) Als ich meinen ersten Bericht über Leipzigs Feuerschicksal erstattete, da glaubte ich nicht, daß bis zu meinem zweiten Bericht nicht weniger als zwölf Wochen verstreichen würden. Es hatte zwar in der Zwischenzeit manchen Alarm gegeben, aber es war nichts Ernstes geschehen, und manche hoffnungsfrohe Gemüter fingen schon an, sich bei dem Gedanken zu beruhigen, die Engländer hätten ihr Werk bereits so gründlich verrichtet, daß sie Weiteres für überflüssig hielten. Nun, der 20. Februar hat sie gründlich eines Besseren belehrt. Der Alarm kam etwa drei Uhr. der Luftschutzkeller füllt e sich schnell in der Vollzähligkeit, die jetzt die Regel ist. Zunächst ließ die Sache sich so hoffnungsvoll an, daß wir meinten, wie die letzten Male unbehelligt wieder den Frieden des Betts aufsuchen zu können, den unangenehmen Teil der Angelegenheit den Berlinern überlassend. Es dauerte merkwürdig lange, bis das Feuer der Flak vernehmlich wirde. Aber dann traten bald sehr viel unheimlichere Geräusche hinzu. Ich bin ja durch mein mangelhaftes Gehör vor beunruhigenden Unterscheidungen geschützt. Aber an den Gesichtern der anderen kann ich meistens sehr deutlich ablesen, wenn die vernehmbaren Geräusche alarmierenden Charakter annehmen; und wenn dann der Boden erbebt, dann beginne selbst ich zu merken, was los ist. Der Angriff dauerte diesmal sehr viel länger als das letzte Mal. Daher ergab sich auch erst sehr viel später die Möglichkeit, die berühmten "Kontorllgänge" im Hause vorzunehmen. Wenn wir allerdings den sehr vernehmlichen Mahnungen zweier Damen des Hauses gefolgt wären, dann hätten wir Männer uns schon etwa nach einer halben Stunde aufgemacht, um das Haus bis zum höchsten Söller zu durchstreifen und etwa aufkeimende Brände zu ersticken. Während ringsum die Einschläge der Bomben dröhnten und die Luft von dem Suasen der feindlichen Flieger erfüllt war, wollten uns diese trefflichen Volksgenossinen zu besagter Wanderfahrt entsenden. Was bei solcher "Einsatzbereitschaft" herauskommt, davon hat unser Nachbarhaus in der Schwägerichenstraße eine Probe erhalten. Die beiden jungen Leute, die sich vor der Zeit aufmachten, um Brandbomben zu löschen, mußten verwundet aus den Trümmern hervorgezogen werden, die durch den Einschlag einer Sprengbombe geschaffen worden waren. Nun, als wir dann mit guten Gewissen heraufgehen konnten, ergab sich bald, daß wir auch dieses Mal glimpflich davongekommen waren. Nur zwei Brandbomben waren eingeschlagen. Die Brände konnten schnell, ohne wesentlichen Schaden angerichtet zu haben, gelöscht werden. Sehr viel unerwünschter waren die Wirkungen, die von den in der nächsten Nachbarschaft erfolgten Einschlägen hervorgerufen waren. Sehr viel mehr zerbrochene Fensterscheiben als das letzte Mal, Türen aus dem Rahmen gerissen, die meisten Verdunkelungen entzwei, kurzum: die Wohnung eine Beute der kräftigen Ostwinde, die sich gerade diese geeignete Stunde ausgesucht hatten, recht kräftig zu blasen. Man nennt das ja wohl mit dem zeitüblichen Kunstausdruck: "durchgepustet". Nun, diese Durchpustung hält bis heute an wovon gleich noch Einiges zu sagen ist. Zunächst aber ist von der Umgebung zu reden. Das traurige Resultat der zwie Angriffe ist, daß jetzt die vier uns umgebenden Häuser mehr oder weniger Ruinen sind. Hatte der erste Angriff das Nachbarhaus in der Beethovenstraße und das Visavis in der Schwägrichenstarße gefordert, so fielen dem zweiten das Nachbarhaus in der Schwägrichenstraße und das Visavis in der Beethovenstraße zum Opfer. Das erstere brannte nicht nur lichterloh, sondern war auch zum Teil durch eine Sprengbombe bereits auf die Straße geschleudert worden. Das zweite brannte langsamer nieder und konnte durch das Eingreifen von Löschmannschaften zum Teil gerettet werden. Niedergebrannt ist aber auch das Haus, das die Beethovenstraße nach dem Park hin abschließt. Vor allem aber fiel unser Blick sofort auf das in hellen Flammen stehende Gewandhaus. Es ist im Inneren völlig ausgebrannt, während die Keller angeblich standgehalten haben. Wir sind zusammen mit vielen anderen daran persönlich interessiert, da wir in diesen Kellern zwei Koffer mit unersetzlichen Inhalt geborgen haben. Im Übrigen brauche ich nicht zu sagen, was mir in dem Untergang dieser ruhmreichen Kunststätte sichtbarlich vor Augen trat. Sonst sind in unserer Nähe noch das Konservatorium und die Maschinenbauschule ausgebrannt - in welchem Umfange, ist mir noch nicht genau bekannt. Das Reichsgericht ist auch dieses Mal im wesentlichen verschont geblieben. Eine ganz schwere Sprengbombe, die ihm zugedacht war, hat in nächster Nähe einen großen Krater aufgerissen. Von den Bomben, die in unserer Nachbarschaft eingeschlagen sind, darf mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß sie unserem Hause zugedacht waren. Ein so großes, beherrschend hervortretendes Eckhaus gehört ohne Frage zu den verlockenden Zielen. Eine etwas kitzliche Empfindung, wenn man sich so etwas klar macht. Im Übrigen ist Leipzig dieses Mal vor allem in den industriellen Vororten im Westen wie im Osten schwer getroffen worden - und das um so mehr, als gleich am nächsten Morgen - es brutzelte gerade eine uns durch Wetzels besorgte Ente in der Bratpfanne - ein amerikanischer Tagesangriff mit gleichem Ziele sich anschloß. Das Zentrum hat verhältnismäßig wenig mitbekommen. Obwohl wir an unseren Sachen an Schäden noch weniger zu beklagen haben als das letzte Mal, sind doch die Wirkungen erheblich unangenehmer, weil der Aufenthalt in einer "durchpusteten" Wohnung bei vier Grad unter Null äußerst unbehaglich ist - und das um so mehr, wenn wie bei uns, die Zentralheizung wegen eines Teilschadens einstweilen abgestellt werden muss. Wir hausen jetzt in unserem alten Empfangszimmer, dem einzigen, das durch einfache Scheiben und Pappe gegen die häßliche Außenwelt abgedichtet ist. Es dient uns als Wohn-, Empfangs-, Eß- und Schlafzimmer. Weil es aber vom letzten Angriff her noch ein ziemliches Loch in der Decke hat, entweicht eingroßer Teil der durch den Ofen erzeugten Wärme nach oben in die Weiten des Dachraums, und wir sitzen, in Mäntel gehüllt, frostklappernd in der Tiefe. Es besteht die Hoffnung, daß die Heizung wieder in Betrieb gesetzt wird, aber dann bleibt immer noch das Problem, wie man sich gegen die Strömungen der freien Luft schützen soll, ohne zugleich die Wohltaten des Lichts aufzugeben. Aber man schämt sich ja, von diesen Nöten zu reden, wenn man hört, was andere zu ertragen haben. Hoffentlich ist bald wieder der Zustand der Dinge hergestellt, der einen weiteren englischen Besuch wieder lohnend erscheinen läßt.