Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0177
TitelBrief von: Rohrscheidt (Essen) an: Litt
Enthälths; Brief 1 Blatt 16,4 x 20,9 cm
Zeitvon1944
Zeitbis1944
BemerkungenDatum: 1944 = geschätzt; Dokumentenabschrift: "Lieber Herr Litt. Also lasse ich mich vernehmen auf Ihren Brief vom 15., der vor 1/2 Stunde bei mir eintraf. Inzwischen komme ich aber blos aus dem Bunker, bei strömenden Regen, nach starken Bombenangriff auf Duisbg. Homberg, wohl die Rheinbunker. Das ist der 3. Angriff heute auf unser Gebiet, aber nur 2x war ich im Bunker. Sie wollen wissen, wie es hier aussieht: Am besten schickte ich Ihnen den Leitartikel der Stadtzeitung (Einheitsausgabe), mit der Überschrift: "Bilder aus einer zerstörten Stadt". Der Verf. wundert sich darüber, daß die meisten Bewohner noch sich waschen, rasieren, gepflegt aussehen! Nun, das ist aber alles: Man existiert noch, mehr nicht. Was kann man auch anderes erwarten in einer Stadt, die kein Wasser hat, natürlich - bis zur Beendigung des Krieges - kein Gas, keine Verkehrsmittel, keinen Fernsprecher, ein ganz klein bischen Strom, der aber nur knapp ausreicht, um den Warnfunk in Betrieb zu setzen, der das wichtigste Instrument des Hauses ist. Manchmal hat man die letzte Hoffnung, das wir das Schwerste überstanden haben - kann sein, aber nach dem letzten Angriff auf Bochum sind wir skeptisch. Das schlimmste ist ja das fehlende Wasser. <...> für den Bedarf: das holt man sich schon 10 Min. weit in Eimern heran, W. nur für einen Brandbombenangriff; dann wären wir hoffnungslos verloren. Mein Haus hab ich gerettet. Zwar regnet es herein, aber das ist überall so. Das wissen auch die maßgebenden Männer, das noch mehr bis jetzt bewohnbare Häuser auf diese Weise zugrunde gehen. Aber da es an Dachziegeln fehlt, ist nichts zu machen. Ich habe einige Blechplatte organisiert, selbst unter dem Opfer eines Teils meiner Raucherkarte, und so hab ichs beinahe fürstlich! Abends treffen wir uns zuweilen mit Bekannten bei mir, denn die meisten haben es schlechter. Mein alter Kohlenherd kommt zu dankbarer Nutzung, u. eine alte Petrollampe ist ein Juwel! Dadurch, daß ich die Doppelfenster in meinem Zimmer entfernt habe, hab ich jetzt wenigstens 1 Garnitur, und am 2. Zimmer hab ich am Sonntag den größten Teil des Glases eingekittet. Sie sehen - was will man mehr? Man wundert sich nur, daß man das Leben nicht aufgegeben hat. Der Mensch besitzt einen beschämenden Hang zum Dasein! Darüber wundere ich mich am meisten. Emmi aus Köln ist abgefahren. Sie hatte ihr Haus u. ihre Wohnung noch, wenn auch ohne Fenster. Aber sie hatte nicht mehr den Mut von vorn anzufangen. In ihrer Straße stehen noch 4 Häuser, darunter das ihrige. In meiner noch etwa 10-12 bewohnbare. Einige sind ganz aus dem Leim gegangen, <...> sind sie aber im <...> reparabel. Von meiner Schule ist noch kaum etwas vorhanden. Die <...> Bücherei hab ich in dem Keller meiner Wohnung, u. das letzte, was ich sonst noch gerettet habe, ist eine schöne Rembrandtreproduktion. (lesender Student) u. der Pauly Wissowa. Wenigstens bis heute. Aber was wird morgen sein? Emmi also will nach Cöthen zu Ernst fahren und sich von dort Koblenz zur Verfügung stellen. Meine Frau liegt meist, in Tempo Aufstehen u. Gehen fällt ihr sehr schwer. Wolfg. hat eine Vertretung als Arzt übernommen, hoffentl. hält er durch. Aber gesundheitlich ist nicht viel mit ihm <...>. Ihr Rudolf - ja: er soll zufrieden sein. Ich spreche es mutig aus. Er war ein Prachtmensch, und vielleicht gibt er dem Aufbau später mehr, als er als Soldat geben kann. Ich weiß es nicht, ob es stimmt; auch <...>, ob der Aufbau kommt. Für Sie natürlich harte Tage, aber es scheint mir, als ob Sie ihn doch zurückbekämen, und es stellt sich von rechts schon um auf links! Ich selbst beklage den Tod fast aller guten Schüler vom Jahrgang 1839 an. Das Werk meines Lebens ist dahin. Nicht mit dem Gebäude, aber den darin aufgewachsenen jungen Menschen. Leben Sie wohl. Und Gruß an Ihre Frau. Ich bleibe mit allen guten Wünschen u. besten Grüßen Ihr Rohrscheidt"; von: Rohrscheidt an: Litt; Ort: Essen